Der mühsame Weg  zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft                                       10.12.2023

Inhaltsübersicht

Analysen

Die defekten Navis   

Bürgergeld statt Leistung  

Das Versorgungsprinzip der Verwaltungswirtschaft  

Das Leistungsprinzip der Marktwirtschaft

Verlust von Freiheit, Würde und Verantwortung  

Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts  

Lähmung der politischen Klasse  

Teillösung der Sozialplaner: Bessere Bildung  

Scheinlösung der Linken: Gesetzliche Mindestlöhne  

Lösungsvorschläge der Wissenschaft  

Machen wir uns auf den Weg 

Aktivierendes Bürgergeld, ein erster Schritt

Motivation statt Verwaltungszwang

Kleinjobs der Jobzentren

Erhöhung der Leistungsanreize für Geringverdiener  

Dynamisches Arbeitslosengeld I  

Erwartete Effekte für Arbeitsmarkt und Fiskus  

Politische Wirkungen 

Weitere Optionen


Die defekten Navis

Eigentlich sind wir uns doch einig: Alle sollen Arbeit haben, von der sie angemessen leben können. Aber wir sind blind für Lösungen. Wir halten sie im Zweifel für so realitätsfern, als hätte man uns im 11. Jahrhundert erklärt, man könne nach Westen segeln, um irgendwann einmal wieder von Osten zurückzukommen.

Damit wir aber nicht gleich vor der Aufgabe verzagen, sollten wir zunächst verstehen, warum wir eigentlich vor der Herausforderung bisher kapitulieren.

Das Problem führt uns Hans Rosling, Professor für Weltgesundheit, erfrischend plastisch vor Augen in „Factfulness“. Wir treffen Entscheidungen, ohne die komplexen Zusammenhänge der globalen Interaktion von acht Milliarden Menschen verstehen zu können. Es ist es eine großartige Leistung menschlicher Evolution, dass wir dennoch in unserem Umfeld in aller Regel sinnvolle Entscheidungen treffen können, ohne zuvor alle Hintergründe zu erforschen. So glauben wir, dass unsere Faktenkenntnis womöglich ungenau aber ausreichend sei. Er vergleicht unsere Entscheidungsbasis mit einem Navi, das uns auf dem Weg zu einer Stadt führt, ohne dass wir die Kenntnis der Karte des Landes haben. Diese Navi sagt uns zwar wie wir an jeder Kreuzung abzubiegen haben, aber wenn die Karte falsch ist, landen wir in einer ganz anderen Stadt.

So erging es dem Kommunismus, mit dessen Navi die Werktätigen vom Kapitalismus befreit und zu gleichberechtigten, dem Gemeinwohl verpflichteten Menschen erzogen werden sollten. Seine Bürger wachten auf in einer schrecklichen Diktatur.

Die Sowjetunion brauchte 70 Jahre, um diesen Irrtum zu erkennen.

So erging es aber auch uns Westeuropäern. Wir vertrauten auf „Wandel durch Handel“. Herrschaftsansprüche von Diktatoren kannte dieses Navi nicht. So lange als möglich blendeten wir Informationen aus, die in unser gewohntes Bild nicht passten.

Mit Russlands Überfall auf die Ukraine wachten wir jäh in einer anderen Welt auf.

Aber so wenig, wie wir über Jahrzehnte das Bild der friedlichen Koexistenz in Zweifel zogen, so wenig zweifeln wir an unserer Sozialen Marktwirtschaft im Grundsatz. Auch wenn wir uns klar darüber sind, dass Marktwirtschaft nur mit globaler Wettbewerbskontrolle sowie Einpreisung der Kosten äußerer Effekte wie der Erderwärmung funktioniert, so dürfen wir uns doch nicht in der Gewissheit wiegen, die restlichen Irrungen zu durchschauen. Wir glauben z.B.:

–    Der freie Markt ist schuld.

–    Arbeitslose sind faul.

–    Für gering Qualifizierte haben wir keine Arbeit.

–    Mehr Bildung gibt allen die notwendige Chance.

–    Niedriglohnarbeit ist würdelos.

–    Etwas Arbeitslosigkeit ist naturgegeben.

–    Ein Sozialstaat verlangt vom Menschen keine Arbeit.

–    Wer als Politiker Reformen versucht, verliert.

Es gilt also, diese Zerrbilder zu hinterfragen und die Denk-Alibis zu beseitigen. Denn diese Tabus und Scheinwahrheiten verbauen uns den Weg zu Lösungen. Indem wir diese Zerrbilder pflegen, dienen sie uns als Alibis für Untätigkeit.

Wir sind durchaus nicht so machtlos wie wir glauben.

Wir müssen nur jeder Frage sorgfältig nachgehen:

Bürgergeld statt Leistung

Das weltweit optimierte Gleichgewicht globaler Arbeitsteilung wird durch Energiewende und ökonomische Auseinandersetzungen mit Russland und China zerstört. Billige Waren und Arbeitskräfte sowie Produktionsweisen sollen durch andere ersetzt werden: Folge:

Durch Preisschock induzierte Inflation:

Der Gegenwert eigener Arbeit sinkt: Gleiche Leistung bringt weniger Konsum.

Gleicher  Wohlstand erfordert mehr Leistung: Unser Lebensstandard sinkt.

Zwar können wir diese Verluste u.U. durch neue Techniken ausgleichen. Aber das kostet

1. viel Zeit und

2. zunächst mehr Leistung

Diese gemeinsame Anstrengung muss organisiert werden.

Was macht unsere Regierung in der Sozialpolitik?  

Die Regierung ersetzt Arbeitslosengeld II durch Bürgergeld:

Der Regelunterhaltsanspruch wird in 2023 bereits in Vorausschau weiterer Inflation erhöht, für einen Alleinstehenden um 12 % von 449 auf 502 Euro monatlich. Gleichzeitig wachsen die zu erstattenden Kosten der Unterkunft vor allem wegen der gestiegenen Energiekosten kurzfristig um etwa 20 %. In der Grafik ist beispielhaft für eine mittlere Großstadt eine Steigerung von 480 auf 578 € monatlich für einen Einpersonenhaushalt veranschlagt. Zugute kommt dies zunächst ca. 2,3 Millionen Haushalten mit Erwerbsfähigen, die zwar dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aber kein eigenes Einkommen erzielen. Folge:

Ohne jede Leistung steigen die verfügbaren Einkommen Hilfebedürftiger

– für einen Alleinstehenden von 930 auf 1.080 Euro monatlich,

– für ein Paar von 1.480 auf 1.690 Euro und

– für eine Familie mit zwei Kindern von 2.300 auf 2.640 Euro.

Ohne Leistungssteigerung steigt auch das verfügbare Einkommen der etwa 1,0 Millionen gering verdienenden Aufstockerhaushalte entsprechend.

Eine Ausnahme gibt es allerding: Die FDP hat durchgesetzt, dass der Freibetrag für Einkommen zwischen 520 und 1000 Euro brutto nun 30 statt 20 % des Netto beträgt. Das ist eine bescheidene Anerkennung für ca. 400.000 Aufstockerhaushalte, mehr aber auch nicht.

Dass wir inmitten einer der größten Umwälzungen unseres Arbeitsmarktes stehen und jede Arbeitskraft gebraucht wird, scheint kaum eine Rolle gespielt zu haben. Der Zustand der Arbeitslosigkeit bzw. Geringbeschäftigung wird hingenommen und erträglicher gemacht, die Inflation mehr als ausgeglichen.

Die Kostensteigerung entsteht, weil wir vor allem für Energie, für Getreide oder Stahl, aber auch vieles andere deutlich mehr zahlen müssen. Wessen Einkommen nicht steigt, der muss seinen Konsum also einschränken.

Welches Signal aber sendet die Regierung mit dem Bürgergeld 2023?

– Ihr müsst euch nicht einschränken.

– Ihr müsst auch nicht mehr leisten.

– Ihr seid die Opfer; der Staat sorgt für euch und niemand wird vergessen.

Die Wahrheit aber ist:

Wer die Energiewende will, muss billige fossile Energie durch teurere CO2-neutrale Energie ersetzen.

Wer sich vor möglichen Erpressungen autoritärer Staaten schützen will, muss deren  billige Leistungen durch teurere eigene ersetzen.

Beides ist legitim und notwendig, um Klima und Freiheit zu schützen.

Aber wir zerstören Glaubwürdigkeit politischen Handelns und damit Demokratie, wenn wir den Bürgern vorgaukeln, ihr Lebensstandard werde davon nicht angetastet. Wahrheit ist:

Wir können unseren Lebensstandard nur halten, wenn es uns gelingt, die bisher genutzten billigen Quellen unseres Wohlstandes durch zusätzliche eigene Leistungen zu ersetzen.

Aber das will unsere Regierung Bürgern nicht zumuten.

Also ruft der Arbeitsminister nach Fachkräften aus dem Ausland.

Beides sind die Verhaltensmuster der 1970-er bis 1990-ger Jahre, die uns schließlich zum „kranken Mann“ Europas machten.

Dabei müssten wir doch alles darauf richten, unsere eigenen Kraftreserven zu mobilisieren! Wir müssen die Lust an der Leistung wecken.

Apelle werden das nicht leisten.

Arbeit muss sich auch wirtschaftlich lohnen.

Frage also:

Lohnt Arbeit wirklich?

Das Versorgungsprinzip der Verwaltungswirtschaft

Wer als Hilfebedürftiger sein Erwerbseinkommen Anfang 2022 von 500 (A) auf 1.500 (B) Euro steigerte und dazu mit 10,8 Euro Mindestlohn 33 statt 11 Wochenstunden arbeitete, gewann im Monat netto 80 Euro zusätzlich, 87 Cent je zusätzlich geleisteter Stunde. In 2023 bringen 1.000 Euro Bruttomehreinkommen nun mit Bürgergeld 120 Euro Nettomehreinkommen und damit 1,30 Euro je zusätzlicher Stunde. Inzwischen ist der Mindestlohn allerdings auf 12,00 Euro gestiegen; der  Arbeitgeber muss also 1.670 Euro zahlen. Der Arbeitnehmer hat aber netto nicht mehr. Die Differenz nimmt der Staat wieder als Transferentzug.

Würde die zusätzliche Leistung von 1.000 Euro stattdessen in Schwarzarbeit erbracht, wäre mit zusätzlich gut 700 Euro auf die Hand zu rechnen (S). Der Hilfebedürftige würde damit insgesamt fast über ein Nettoeinkommen verfügen, für das sein nicht hilfebedürftiger Kollege 4.000 Euro brutto erwirtschaften müsste (D).

Kein Wunder, dass „Hilfebedürftige“ auch mit Bürgergeld 2023 zu legaler Arbeit wenig motiviert sind. Sie lohnt nicht. Der Motor der Marktwirtschaft ist ausgeschaltet.

Hier gilt das Versorgungsprinzip der Verwaltungswirtschaft.

Das Leistungsprinzip der Marktwirtschaft

Steigert hingegen ein „nicht Hilfedürftiger“ sein Einkommen um 1.000 Euro monatlich von 2.500 (C) auf 3.500 (D), so kann er mit einem Nettogewinn von gut 500 Euro rechnen. Würde er die Mehrarbeit in Schwarzarbeit leisten, hätte er damit etwa 200 Euro mehr; die Versuchung ist damit weit geringer. Er schimpft zwar über die zu hohe Abgabenlast. Dennoch gilt:

Ein Nettogewinn von 50 % des Bruttolohns genügt den meisten als Arbeitsmotivation. Es gilt das Leistungsprinzip der Marktwirtschaft, das uns zu immer neuen und  effektiveren Leistungen treibt.

Sie erhöhen den Wohlstand des Einzelnen ebenso wie der Gemeinschaft.

Es ist die Welt der „Leistungsträger“.

Es bleibt also auch mit Bürgergeld 2023 bei der Zweiteilung der Wirtschaft:

Die Erhöhung von Regelansprüchen des Unterhaltes und der Kosten der Unterkunft lassen diese Welt der Marktwirtschaft etwas schrumpfen und dehnen das Versorgungsprinzip der Verwaltungswirtschaft weiter aus:

2022 hatten wir 3,3 Millionen Leistungsempfänger, nun werden es mehr.

Der Kreis der Hilfebedürftigen ist gewachsen im Beispiel der mittleren Großstadt z.B.bei Alleinstehenden von 1.660 Euro Bruttoeinkommen auf über 2.000 Euro

oder  

bei Familien mit zwei Kindern bei einem Erwerbstätigen sogar von 2.900 auf über 3.500 Euro Bruttoeinkommen.

Aus dem Versorgungsprinzip der Verwaltungswirtschaft folgen:

Verlust von Freiheit, Würde + sozialer Verantwortung

Wo Arbeit nicht lohnt, fehlt Motivation. Verwaltungszwang muss sie ersetzen. Das gilt auch noch beim Bürgergeld:

–      Aufforderungen zur Pflichterfüllung,

–      Berichte über die Erfüllung der Pflichten,

–      Kontrollen und

–      Androhungen von Sanktionen durch Kürzung der Unterhaltskosten

Jobcenter müssen dabei Pflichtverletzungen nachweisen.

Dagegen kann Widerspruch eingelegt werden.

Bei Zurückweisung muss das Sozialgericht entscheiden, jährlich in fast 100.000 Fällen

Ein immenser Verwaltungsaufwand und zugleich Demütigung der Betroffenen.

Zwar hat die Ampelkoalition versucht, Zwangsmaßnahmen zu lockern und z.B. „Vertrauenszeiten“ eingerichtet, in denen Arbeitsuchende ohne behördlichen Druck tätig werden können; aber es bleibt dabei, dass Empfänger von Lohnersatz Arbeit suchen und aufnehmen müssen, von denen sie keinen Gewinn für ihre Lebensqualität erwarten. Andererseits werden Geflüchtete, deren Aufenthaltsstatus noch nicht endgültig geklärt ist, an der Arbeit gehindert.

Ergebnis:

Abb. 3 zeigt den Umfang der Erwerbstätigkeit, farblich gegliedert nach Bruttoeinkommensgruppen entsprechend der bei der Bundesagentur für Arbeit geführten Statistik.

Trotz all dieser Hindernisse führten die über 100.000 Mitarbeiter der Agentur für Arbeit mit Verwaltungszwang immerhin ein Drittel der von Hartz IV abhängigen Erwerbsfähigen zu Erwerbstätigkeit. Zwei Drittel aber nahmen gar keine Arbeit auf.

Es gibt keinen Grund, warum das Bürgergeld 2023 das ändern sollte.

Weil Politiker ebenso wie Publizisten in der Regel zu den Leistungsstarken zählen und in der Welt der Marktwirtschaft leben, verstehen nur wenige, was Versorgungwirtschaft den Menschen antut, denn:

Anstelle von freien Entscheidungen ist ihr Leben geprägt von behördlichen Weisungen. Man bewirbt sich, obwohl man genau weiß, dass man keine Chance auf einen lohnenden Job hat, nur um nachweisen zu können, dass man sich beworben hat. Man nimmt an einer Weiterbildungsmaßnahme teil, um Kürzungen beim Arbeitslosengeld II zu entgehen, auch wenn man weiß, dass man die zu erwerbenden Fähigkeiten nie nutzen kann oder will.

Millionen erwerbsfähiger Hilfebezieher werden wie Kinder behandelt, deren Eltern versuchen, sie gegen eigene ökonomische Vernunft zu einem Verhalten zu treiben, von dem sie keinen Gewinn an Lebensqualität erwarten.

Sie verlieren die Freiheit, in Würde aus eigenem Antrieb zu entscheiden.

Fürsorge schützt nicht nur vor den finanziellen Folgen von Arbeitslosigkeit; sie schützt zugleich vor den wirtschaftlichen Folgen sozialer Verantwortungslosigkeit. Einige Beispiele:

Sparen Einkommensstarke für sich und ihre Familie, ist das eine Investition in ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Wer aber wenig verdient, verliert durch Sparen seine Hilfebedürftigkeit. Er muss in Notsituationen zunächst das angesparte Vermögen aufbrauchen, sobald es einen bestimmten Betrag überschreitet. Sparen ist dauerhafter Verlust an Lebensqualität.

Verbinden sich zwei gut verdienende Partner, müssen sie dank Ehegattensplitting gemeinsam etwas weniger Steuern zahlen als vorher getrennt und gewinnen zudem wirtschaftlich durch gemeinsame Haushaltsführung. Heiratet ein Arbeitsloser aber eine tüchtige Frau, verliert er seine Hilfebedürftigkeit: Gemeinsam haben sie dann trotz Ehegattensplitting monatlich bis zu 500 Euro weniger, als wenn er z.B. Mieter der Partnerin bliebe.

Kinder sollten möglichst mit Mutter und Vater aufwachsen. Trennen sich zwei gut verdienende Eltern von zwei Kindern, muss in der Regel der Vater Kindesunterhalt zahlen. Außerdem hat man doppelte Haushaltsführung. In jedem Falle ist das eine teure Sache. Trennt sich aber eine Hartz-IV-Familie, haben sie, zusammen hinterher 360 Euro mehr als zuvor.

Kinder sollten nicht in Armut hineingeboren werden. Ziehen Gutverdienende Kinder auf, überlegen sie meist genau, ob sie ihren Nachwuchs angemessen betreuen und alle gemeinsam ohne Armut leben können. Nicht so in der Versorgungswirtschaft: Mit jedem weiteren Kind steigt die Hilfebedürftigkeit: Für jedes Kind gibt es incl. Kosten der Unterkunft fast 400 Euro extra, mit Kindergartenvergünstigung u.U. sogar 600 Euro monatlich. Wo beruflicher Erfolg nicht erwartet wird, sind Karrierenachteile nicht zu befürchten.

Im Bereich der  Versorgungswirtschaft gilt also:

–    Spare nicht. Es wird dir ohnehin wieder genommen.

–    Schließe dich nicht mit einem Partner zusammen. Getrennt gibt es mehr Geld vom Staat.

–    Wenn du den Wunsch nach Kindern hast, mach dir keine Gedanken, ob die Kinder in  Armut und ohne gutes Vorbild aufwachsen; für Kinder gibt es mehr Geld.

Natürlich will die Gesellschaft nur unverschuldet in Not geratenen helfen. Die Schuldfrage aber können und wollen wir nicht klären. Also folgt:

Indem wir Hilfebedürftigen die Verantwortung für ihre wirtschaftliche Situation teil-weise abnehmen, subventionieren wir unverantwortliches Handeln und schwächen das Verantwortungsbewusstsein der Betroffenen.

Diese Menschen sind nicht von Natur aus verantwortungslos. Der Lohnersatz  erzieht sie dazu.

Wir dürfen deshalb ökonomische Anreize nicht nach Hilfebedürftigkeit setzen, sondern nur nach den Leistungen, die jeder zum Nutzen der Gemeinschaft  erbringt.

Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Verwaltungswirtschaft auf der einen und Marktwirtschaft auf der anderen Seite schaffen in den Köpfen der Betroffenen zwei ganz verschiedene Bilder unserer Gesellschaft. Leistungsträger würden niemals für einen Zugewinn von zwei Euro netto je Stunde arbeiten. Aus ihrer Erfahrung lohnt ökonomisch jeder Mehreinsatz.

Aus Sicht der „Leistungsträger“ gilt deshalb:

„Bürgergeldempfänger sind leistungsunfähig oder leistungsunwillig.“

Für „Hilfebedürftige“ hingegen erhöhen Leistungssteigerungen den Lebensstandard nicht. Die schlechte Meinung des Chefs oder der Chefin ist ohne wirtschaftliche Auswirkungen. Wird eine Briefträgerin entlassen, weil sie Post im falschen Haus einwirft, oder ein Spargelstecher, der die Hälfte des Spargels zerstört, verlieren beide kaum Geld, aber gewinnen Freizeit.  Finanziell entscheidend ist, den Status der Hilfebedürftigkeit nicht zu verlieren.

Für Unternehmer gilt aus Erfahrung:

„ Bürgergeldempfänger sind unzuverlässig.“

Entsprechend ziehen Arbeitgeber Zweitverdiener oder Gastarbeiter vor – beide leben in der Welt der Marktwirtschaft – für sie bringt jeder Job spürbar mehr Geld. Folge schließlich:

Hilfebedürftige fühlen sich ausgegrenzt; man behandelt sie als minderwertige Bürger. Was sie leisten, wird ihnen nicht gelohnt. Mit diesem Staat können sie sich nicht identifizieren.

Für „Hilfebedürftige“ gilt daher:

„Wir möchten arbeiten; aber die da oben beuten uns nur aus.“

„Bei dieser Bezahlung lohnt Arbeit nicht“

Lässt sich unter diesen Umständen Soziale Marktwirtschaft organisieren?

Lähmung der politischen Klasse

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages vertreten das ganze Volk (GG Artikel 38). Nach der „Ökonomischen Theorie der Demokratie“, Standardlektüre aller Politologen und Wirtschaftswissenschaftler, wäre die Lösung dieser Widersprüche zu erwarten: Die von den Staatsbürgern gewählten Parteien repräsentieren die Interessen der Bürger und die von ihnen getragenen Regierungen vertreten – je nach Koalitionsbildung zwar mit unterschiedlichen Schwerpunkten – die Interessen des Volkes.

Das klingt gut! Es unterstellt aber, dass wir Bürger unsere Wahlentscheidungen auf einer Faktenkenntnis gründen. Weil wir aber die Wechselwirkungen von acht Milliarden Menschen nicht durchschauen können, hat jeder von uns ein eigenes Navi, dessen Karte sich aus den Erfahrungen seiner persönlichen Umwelt zusammen fügt und die er nur ungern ändert.

Wer Einfluss in der Politik gewinnen will, muss Mehrheiten hinter sich bringen.

Man muss in jeder Gruppe erklären,

Ich schätze Ihre Leistungen.

Ich teile ihre Werte und Überzeugungen.

Ich werde mich für die Erfüllung ihrer Wünsche einsetzen.

Das ist der leichteste Pfad des Erfolges.

Aufwendige Problemdiskussionen hingegen kosten nur Kraft und Zeit.

Nur so ist zu begreifen; dass Spitzenpolitiker den Eindruck erwecken:

– Eliminieren von 2 % der CO2-Emissionen der Erde könnten 100 % des Weltklimas retten

– oder die Aufnahme einer Million Flüchtender würde das Leid von weltweit hunderten von

  Millionen von Unterdrückung und Mord bedrohter Menschen nennenswert lindern.

– Wir könnten mehr Wohnungen bauen, wenn gleichzeitig Materialpreise, Heizungsauflagen und Bauzinsen steigen und Mieten gedeckelt werden

– 700.000 offene Stellen kann man aus 2,5 Millionen Arbeitslose nicht besetzen, sondern nur durch Zuwanderung.

Wir sehen eine grenzenlos überforderte politische Klasse an der Spitze unseres Staates.

Was bedeutet das für die Konflikte der Sozialen Marktwirtschaft?

Teillösung der Sozialplaner: Bessere Bildung

Geringqualifizierte haben die schlechtesten Chancen am Arbeitsmarkt und sind daher am stärkste auf staatliche Hilfen angewiesen. Berufsberater, Pädagogen und Bildungspolitiker foerdern daher bessere Ausbildung. Vergleicht man den 2011 im Auftrage der Bertelsmannstiftung erstellten Deutschen Lernatlas mit der Statistik der Bundesanstalt für Arbeit bestätigt sich das vollauf: Die Kreise mit geringem Lernindex (hell) haben fast alle hohe Abhängigkeit von Transferzahlungen des SGB II (dunkelblau), die Kreise mit hohem Bildungsindex (dunkel) dagegen geringe Abhängigkeit vom SGB II (hellblau).

Wir gehen also zu Recht davon aus:

Bessere Bildung fördert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Der Vergleich der Statistiken sagt aber auch:

Hoher Beschäftigungsgrad fördert Bildung,

Erst die Aussicht auf bessere Jobs macht Lernanstrengungen lohnend.

Die Kernfrage also wieder: Was muss Politik tun, damit Arbeit lohnt?

Scheinlösung der Linken: Gesetzliche Mindestlöhne

„Schuld an wachsender Armut sind menschenunwürdige Löhne, von denen man nicht leben kann“ rief die linke Elite. Wenn der Markt befriedigende Einkommen nicht sichern könne, müsse der Staat eingreifen und angemessene Mindestlöhne festsetzen. So die Forderung. Nachdem das sozialistische Experiment der DDR kläglich scheiterte, sollte Deutschland gegen staatliche Planwirtschaft eigentlich gefeit sein. Warum wir dennoch dem Zusammenspiel der Tarifpartner nicht mehr vertrauen, macht der Ökonomie-Nobelpreisträger Daniel Kahnemann in „Schnelles Denken – Langsames Denken“ begreiflich: Sind wir bei einer schwierigen Frage überfordert, beantworten wir stattdessen schnell eine andere leichtere Frage, ohne uns dessen bewusst zu werden. Ein Beispiel:  

Aus „Was ist der angemessene Lohn der Verkäuferin im Bäckerladen“,  wird dann:

„Möchte ich, dass die nette Verkäuferin, die mir jeden Morgen die frischen Brötchen überreicht, davon auch leben kann?“

Die Antwort heißt dann: „Natürlich will ich das; alles andere wäre nicht gerecht“.

So wurden 2015 gesetzliche Mindestlöhne zunächst mit 8,5 Euro je Stunde beschlossen und werden seither jährlich erhöht. Verfolgen wir die Wirkung der Erhöhung des Mindestlohnes von 10,80 Euro in 2022 auf 12,00 Euro in 2023:

Der Bruttolohn des Arbeitnehmers für Vollzeitarbeit mit 35 Wochenstunden

steigt damit von 1.634 Euro auf 1.816 Euro monatlich, also um                           + 182 Euro

Der Arbeitgeber zahlt dazu seinen Teil der Sozialabgaben und damit                 + 218 Euro

Das Nettoeinkommen von Hilfebedürftigen erhöht sich nicht:                         +/- 00 Euro

Die 218 Euro Mehrkosten des Arbeitgebers werden vom Staat einbehalten.

Mit wenigen Ausnahmen gilt also:

Diejenigen die unter widrigen Bedingungen ohne Gewinnaussicht voll arbeiten, um der Abhängigkeit von Transferzahlungen zu entkommen, haben vom Mindestlohn nichts.

Ganz anders ist das für Zweitverdiener mit einkommensstarken Partnern:

Ihnen bleiben nach Abzug von Sozialabgaben und Steuern netto ca.                     + 90 Euro

Das erklärt auch warum sich Mindestlöhne weiter großer Beliebtheit erfreuen, obwohl damit Armut der Hilfebedürftigen gar nicht überwunden wird:

Einkommenssteigerungen landen bei Leistungsträgern.

Für Meinungsführer in den Medien, Politiker oder Regierungsmitarbeiter verknüpfen sich steigende Mindestlöhne also mit kleinen Erfolgserlebnissen.

Außerdem entlastet es den Haushalt des Sozialministers.

Alternativ können sich linke Geister von der Vorstellung beflügeln lassen, mit steigenden Mindestlöhnen werde ein Beitrag zum Abbau der Einkommens- und  Vermögensungleichheit geleistet. Aber selbst das ist weitgehend Illusion. Wenn alle Bäcker ihren Verkäuferinnen höhere Löhne zahlten, versuchen sie die Mehrausgaben mit den Preisen der Brötchen weiterzugeben. Genau das haben wir erlebt. Die Brötchenpreise sind kräftig gestiegen und zwar nicht erst seit den Lieferengpässen für Ukrainisches Weizenmehl. Das heißt, die Mehrkosten zahlen die Verbraucher, so lange sie auf Brötchen nicht verzichten oder diese im Supermarkt einkaufen, wo sie billiger sind. Im letzteren Falle reduziert sich zwar der Gewinn der Bäcker, steigt dafür aber der Gewinn der Handelsgiganten.

Dann profitieren von Mindestlohnsteigerungen also ausgerechnet die Superreichen.

Immer weitere Teile der Marktwirtschaft werden demontiert und zentraler Kontrolle unterworfen. Die Europäische Union versucht Mindestlöhne für alle Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Dabei waren doch die niedrigeren Löhne vieler Mitglieder Voraussetzung für deren wirtschaftlichen Erfolg und stiegen dort auch ohne zentrale Direktiven. Damit Lastwagenfahrer aus Litauen keinen Wettbewerbsvorteil vor deutschen Fahrern haben, müssen sie nun nachweisen, dass sie für Transporte zwischen deutschen Partnern nicht nach einheimischem sondern deutschem Tarif bezahlt werden.

Menschen dachten bisher beim Kauf von Handys, Kaffee oder einer Ananas kaum darüber nach, bei welchen Löhnen in Taiwan, Nigeria oder Costa Rica deren Preise zustande kamen. Nun sollen weltweit „faire“ Löhne garantiert werden. Und weil sowohl Deutschland als auch die EU damit völlig überfordert wären, wurde mit dem Lieferkettengesetz die Pflicht zum Nachweis auf die Unternehmen überwälzt. Ob das zur Folge hat, dass betroffenen Arbeitnehmer besser bezahlt werden oder die Produktion in andere Länder verlegt wird und die Betroffenen ohne ganz ohne Einkommen dastehen, weiß niemand. Klar ist nur:

Auch die SED-Führer wollten bessere Lebensverhältnisse für die arbeitende Klasse.

Mit Mindestlöhnen wurde der Eindruck erweckt, staatliches Diktat sichere Wohlstand besser als Markt. Wahrheit ist:

Wird er durch Verwaltungswirtschaft ersetzt, folgen Umgehungsstrategien:

–     Falsche Stundenabrechnungen,

–     Akkordlöhne zur Umgehung der Mindestlöhne

–     Scheinselbständigkeit

Antworten der Planwirtschaft:

–     Wachsende Bürokratisierung

–     Kontrollen

–     Strafandrohungen.

Jede Partei, die jetzt versucht Mindestlöhne abzuschaffen, würde jedoch als menschenfeindlich gebrandmarkt und verlieren. Denn im Bewusstsein der Medienschaffenden wie der Politiker hat sich festgesetzt:

Löhne sind eine Frage von Gerechtigkeit und Menschenwürde.

Wir müssen erkennen:

Staatliche Mindestlöhne sind die populistische, aber bisher einzige politische Antwort auf die Unfähigkeit des Marktes, existenzsichernde Löhne zu garantieren.

Wissenschaftlern ist schon seit langem klar, dass Leistungsanreize unter Hartz IV und nun unter dem Bürgergeld zur Motivation nicht ausreichen und erhöht werden müssen. Abbildung 5 zeigt die Transferkurven der wichtigsten Vorschläge, umgerechnet auf das Preisniveau 2023. Zur Abklärung ihrer Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt und für den Staatshaushalt wurde ein Simulationsmodell für den Kreis der bisher Hilfebedürftigen entwickelt, in dem Leistungsanreiz (Verhältnis von Netto- zu Bruttozugewinn) und Versorgungssituation je nach Modell sowie erwartete Leistungsfähigkeit der Betroffenen und Aufnahmefähigkeit des Marktes je nach konjunktureller Lage eingehen. Mit der Einführung jedes neuen Transfermodells wird ein Marktanpassungsprozess angestoßen, der wie bei Harz IV über ein Jahrzehnt reichen kann. Darum werden zunächst die mittelfristigen Ergebnisse betrachtet, mit denen man sich nach etwa  fünf bis sieben Jahren dem neuen Gleichgewicht langsam nähert. Sie sind in Abbildung 6 nach der schon in Abbildung 3 verwendeten bei der Agentur für Arbeit bisher üblichen Gliederung der Einkommensgruppen zusammengestellt. Dazu wurden die sich jeweils ergebenden Veränderungen fiskalischer Kosten bei Unterhaltszahlungen, Kosten der Unterkunft, Sozialbeiträgen, Steuern und kommunalen Arbeitsgelegenheiten unter Einbeziehung zusätzlich anspruchsberechtigter Haushalte (orange Kreise) ermittelt.

Institut der Deutschen Wirtschaft Köln

Nach Einführung von Hartz IV gab es mehrere Anstöße zur Korrektur der Anrechnungsregeln. Haupttriebkraft waren Unternehmerverbände. So entwickelte das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln 2006 ein Konzept, das bis 300 Euro ohne Zugewinn ist, das Transfereinkommen danach aber um 60 % und ab 1.400 Euro noch um 20 % des Nettozugewinns steigt (rotbraune dünne Linie). Ergebnis in mittlerer Frist (Abb. 6):

–    Minijobs (blau) verschwinden fast vollständig.

–    Zusätzlich 400.000 Bedarfsgemeinschaften erzielen Bruttoeinkommen von mehr als 850      Euro (hellgrün).

–    Leistungsschwächere wären allerdings abgeschreckt worden und

     die Zahl Bedarfsgemeinschaften ohne Erwerbseinkommen sogar etwas gestiegen.

–    Der Kreis der allein stehenden Leistungsbezieher wächst von 2.000 auf 2.600 Euro (Abb. 6)

–    Auch nach Marktanpassung wären noch fiskalische Mehrkosten von über einer Mrd. Euro jährlich vor allem durch neue Ansprüche von 1,7 Mio. Haushalten zu erwarten gewesen.

Sachverständigenrat Wirtschaft

In Fortsetzung solcher Überlegungen schlug der Sachverständigenrat Wirtschaft 2006 das „Zielgerichtete Kombilohnmodell“ vor (Abb. 5, orange). Im Gegensatz zum IW Köln sichert es die Regelversorgung nicht ohne eigene Leistung. Ohne Arbeit hat ein Erwerbsfähiger nur Anspruch auf ein um 30 % reduziertes Arbeitslosengeld II. Man erwartet von ihm, dass er sich Arbeit sucht. Falls nicht verfügbar, bieten Kommunen Arbeitsgelegenheiten an und garantieren das Regeleinkommen (R) damit für jeden Leistungsbereiten. Dazu stellte der Sachverständigenrat fest:

„Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes verpflichtet uns, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Wie diese Aufgabe erfüllt wird, ist von den gewählten Vertretern des Volkes zu bestimmen. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei zu entnehmen, dass es der grundgesetzlichen Konzeption und dem zugrunde liegenden Menschenbild eher entspricht, Arbeitslosigkeit durch Förderung zusätzlich bereit gestellter Arbeitsplätze als durch alimentierende Sozialleistungen abzubauen.“

Im Vorschlag des Sachverständigenrates werden geringfügige Arbeiten bis 300 Euro noch voll auf das Arbeitslosengeld angerechnet. Im Gegenzug erlauben dafür Erwerbseinkommen von 300 bis 1.200 Euro brutto 50 % Nettogewinn zuzüglich Werbekostenpauschale. Darüber hinaus bleibt 20 % des Nettomehrverdienstes. Die Modellrechnung zeigt: Der Effekt auf die Vollzeitbeschäftigung ist ähnlich wie beim Modell des IW Köln, aber:

–    Der Beschäftigungseffekt ist etwas größer.

–    Statt fiskalischer Verluste sind deutliche fiskalischer Gewinne zu erwarten.

Beide Konzepte sind statische Modelle. Es gilt:

–    Die erwerbslosen Erwerbsfähigen aus über zwei Millionen Haushalten werden von Natur aus für leistungsunwillig oder leistungsunfähig gehalten und

–    für Geringqualifizierte haben wir keine Arbeit.

–    für sie ist Schwarzarbeit immer noch die verlockendste Alternative (grau gepunktet).

Diese Konzepte führen zwar der Wirtschaft etwas mehr Arbeitskraft zu.

Sie verfestigen jedoch die Kluft zwischen überwiegend von Lohnersatzleistungen lebenden demotivierten „Hilfebedürftigen“ und motivierten „Leistungsträgern“, von denen die Schwächeren allerdings von der Angst getrieben werden, bei Jobverlust auch von Transferzahlungen abhängig zu werden.

Diese Vorschläge wurden von keiner Seite wieder aufgegriffen.

Ifo-Institut München

Im Gegensatz dazu steht das unter Hans-Werner Sinn im Münchner ifo-Institut entwickelte dynamische Modell der „Aktivierenden Sozialhilfe“(Abb. 5, dunkelrot) aus 2002, das 2006 leicht ergänzt und vom Sachverständigenrat übernommen wurde. Es setzt darauf, dass mit Erhöhung der Leistungsanreize auch bei Geringqualifizierten Motivation und Leistungsbereitschaft und sogar Leistungsfähigkeit steigen und dies mittelfristig auch die Arbeitsnachfrage erweitert: Bei Arbeitsaufnahme erhält man nicht nur das Bruttoeinkommen ungekürzt, sondern sogar noch einen Zuschuss ich Höhe der Sozialbeiträge dazu. Von 200 bis 500 Euro bleiben 80 % des Nettomehreinkommens als Gewinn, danach 30 %. Um dies finanzieren zu können, gibt es ohne eigene Leistung keinen Zuschuss zum Lebensunterhalt. Weil das natürlich nur zumutbar ist, wenn tatsächlich Arbeitsplätze vorhanden sind, müssen die Kommunen in einer Übergangszeit so lange Arbeitsgelegenheiten vorhalten, bis der Markt die nötigen Plätze geschaffen hat. Das rechnerische Ergebnis dieses Modells ist erstaunlich:

Weil Schwarzarbeit bis 1.000 Euro brutto weniger Gewinn erwarten lässt (Abb. 5: dritte grau gepunktete Linie zu dunkelroter Linie) als legale, suchen wirklich alle intensiv nach legaler Arbeit. Mittelfristig ist zu erwarten, dass praktisch alle Arbeit finden (Abb. 6). Ausnahme sind nur wenige, die in Ausbildungsgängen sind oder aus anderen Gründen dem Markt nicht zur Verfügung stehen (schraffiert). Überfordert wird auch niemand; denn schon mit 400 Euro Bruttoeinkommen hat man mehr als das Existenzminimum (R). Ergebnis:

Nach wie vor muss man aber auch hier Hilfebedürftigkeit nachweisen. Und der Kreis der Antragsteller wird mehr als verdoppelt, weil die Anspruchsberechtigung ausgeweitet wird, beim Alleinstehenden z.B. von 2.000 auf 2.800 Euro Bruttoeinkommen.

Am Anfang jedoch hat sich der Markt darauf noch nicht eingestellt. Es ist damit zu rechnen, dass die Kommunen zunächst bis zu einer Million kommunaler Beschäftigungsmöglichkeiten bereitstellen müssen. Selbst wenn das gelingt, werden die Betroffenen es als Zumutung empfinden, in dieser Weise unter Druck gesetzt zu werden. Sozialpolitiker aller Couleurs werden ihnen zur Seite stehen und das als Unmenschlichkeit brandmarken. Andere werden fürchten, dass die Kommunen mit ihren Angeboten der Wirtschaft unlautere Konkurrenz machen.

Einer Regierung, die dies versuchte, würde es daher ergehen wie Gerhard Schröder nach Hartz IV. Sie würde die Macht verlieren.

Und weil das alle Politiker wissen, ist das Thema in Deutschland tabu.

Bedingungslose Grundeinkommen

Eine scheinbar perfekte Lösung schlagen die Vertreter eines bedingungslosen Grundeinkommens von Götz Werner bis Thomas Straubhaar vor: Weil preisgünstige Maschinenleistungen vielfach menschliche Arbeit ersetzen, sei es unnötig, jeden zur Arbeit zu drängen. Alle erhalten ein existenzsicherndes Grundeinkommen ohne Nachweis einer Bedürftigkeit. Bei Arbeitsaufnahme ist darüber hinaus ein lohnender Zugewinn zu erwarten (Abb. 6 grün):

1.  Auch ohne Arbeit hat jeder das Existenzminimum

2.  Es herrscht maximale Freiheit.

3. Arbeit lohnt.

4.  Auch jede Vorsorge lohnt.           

Die Grafik lässt jedoch erkennen: Das ist nicht zu finanzieren. Fast alle bekommen deutlich mehr Geld (Abb. 6 hellgrüne Fläche).

Ein Teil der bisher nicht hilfebedürftigen Geringverdiener wird seine Leistungen sogar reduzieren oder gar einstellen, weil man z.B. bei Wohnungsbesitz plus Grundeinkommen auf ein Erwerbseinkommen gar nicht mehr angewiesen ist. 

Trotz dieses finanziellen Kraftaktes entsteht dabei keine solidarische Gesellschaft:

Die „Leistungsträger“ würden die übrigen als „Schmarotzer“ betrachten.

Sie müssten die Grundeinkommen mit ihren zusätzlichen Leistungen finanzieren.

Trotz maximaler Umverteilung würde gesellschaftliche Spaltung weiter bestehen.

Entsprechend wurden solche Vorschläge sowohl in Finnland als auch in der Schweiz in Volksabstimmungen verworfen.

Wird unsere Gesellschaft in der Lage sein, diesen Konflikt sinnvoll zu lösen?

Das ist eine Frage der Funktionsfähigkeit unseres demokratischen Gesellschaftssystems:

Angesichts dieser verwirrenden Lage beschwören alle politischen Akteure ihr Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft und bedienen dabei doch nur die vermuteten Erwartungen ihrer Wählerschaft, indem sie die Ergebnisse der Marktwirtschaft durch Umschichtungen zugunsten der vermutet „Armen“ korrigieren  oder umgekehrt die „Leistungsträger“ davor zu schützen.

Ludwig Erhard hätte sich im Grabe herumgedreht.

Die „Aktivierende Sozialhilfe“ des ifo-Institutes bietet also die einzig langfristig wirksame Chance für eine Soziale Marktwirtschaft, die dem Ziel wenigstens nahe kommt:

Doch wer das auch nur versucht, würde als kaltherziger Neoliberaler gebrandmarkt. Selbst wenn wir warten, bis Hoffnungslosigkeit sich noch mehr ausbreitet,  würde das die Auflösung der Konflikte nicht erleichtern.

Aufgeben, das ist aber keine Option.  

Sonst erwarten uns Konflikte wie schon heute in Frankreichs Vorstädten. Also:

Machen wir uns auf den Weg!

Stellen wir uns für einen Moment vor, in 1960 hätten sehr weise Politiker die allerdings erst 2002 entwickelte Aktivierende Sozialhilfe des ifo-Instituts eingeführt (Abb. 18). Damals hatten wir in der Bundesrepublik nur 150.000 Arbeitslose. Auf eine Grundsicherung ohne Arbeit wäre praktisch kein Erwerbsfähiger angewiesen gewesen. Für die Übergangszeit bis zum nächsten Job für i.d.R. vierzehn Tage – längere Arbeitslosigkeit gab es kaum – hätte das Arbeitslosengeld I bestens gereicht. Die Senkung der Transfers für längerfristig nicht beschäftigte Erwerbsfähige auf die Höhe einer bescheidenen Wohnung hätte also kaum jemand getroffen, auf jeden Fall keinen sozialen Protest ausgelöst. Wenn danach der Prozess von Automation und Globalisierung gut bezahlte Jobs verdrängte, wären etwas weniger gut bezahlte nachgewachsen und auch angenommen worden.

Wenn es offenbar einen Entwicklungspfad gab, der uns konfliktfrei heute echte Vollbeschäftigung und Teilhabe aller am Wirtschaftsgeschehen hätte bescheren können, gibt es keinen Grund, warum wir einen solchen Pfad nicht auch heute entwickeln könnten. Nur das will sorgfältig bedacht sein und geht nur in Schritten.

Reine Theorie wird das nicht leisten.

Wähler können sich nicht vorstellen, wohin Reformen in 10 oder 20 Jahren führen.

Politiker brauchen Zustimmung jetzt – sonst sind sie bald keine Politiker mehr.

Der erste Schritt muss zum politischen Erfolg werden und damit die nötige Voraussetzung für die nächsten Etappen zu schaffen. Ein Vorschlag für den ersten Schritt:

im Einzelnen:

Aktivierendes Bürgergeld

Eine Novelle des SGB II

Motivation statt Verwaltungszwang

Solidarität kann keine Einbahnstraße sein. Nicht nur sollten Hilfebedürftige sich darauf verlassen können, mit Transferzahlungen Unterstützung durch die Gesellschaft zu erhalten. Ebenso sollte die Gesellschaft sich darauf verlassen können, dass Hilfebedürftige nach ihren Kräften zum Wirtschaftsergebnis beitragen. Aber dazu fehlt bisher der ökonomische Anreiz.

Bisher muss die Arbeitsverwaltung den Hilfebedürftigen mit bis zu einer Million Verwaltungsakten nachweisen, dass sie ihren Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft nicht hinreichend nachkämen. Eine erste ökonomische Motivation entsteht überhaupt erst nach Durchlaufen eines aufwendigen und für alle Seiten zermürbenden Verwaltungsverfahrens, im Zweifel sogar erst nach Gerichtsentscheid. Erst dann kann man nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes den Regelunterhalt um 30 Prozent kürzen. 

Nun wird deshalb die Beweislast umgekehrt:

Ein Minimum an Eigenengagement wird zur gesetzlichen Voraussetzung für den vollen Leistungsbezug gemacht.

Wer als Erwerbsfähiger nicht einmal Arbeit für 100 Euro monatlich bzw. 1.200 Euro jährlich nachweist, nutzt offensichtlich seine Möglichkeiten nicht und hat deshalb nur einen um 30 Prozent reduzierten Anspruch auf den Regelunterhalt, wie es der ersten Sanktionsstufe des SGB II entspricht, zurzeit also um etwa 150 Euro monatlich.

Die Differenz ist nun nicht mehr Strafe für Fehlverhalten sondern Belohnung für einen ersten Nachweis der Solidarität.

Motivation zur Arbeitsaufnahme ist auch ohne Verwaltungsakt und sofort gegeben.

Kleinjobangebote der Jobzentren

100 Euro monatlich zu erwirtschaften überfordert niemanden. Das sind nur 3 Stunden wöchentlich je 16 Euro. Selbst eine Alleinerziehende kann für ein paar Stunden ein anderes Kind mitbetreuen. Da es natürlich möglich ist, dass jemand in einem Monat wegen Krankheit wirklich nicht arbeiten kann, gibt es einen Jahresausgleich. Entscheidend sind also 1.200 Euro Mindesteinkommen im ganzen Jahr. Und das kann jeder, der nicht chronisch krank ist. Derartige Jobs sind auch leicht zu finden. Es können Aushilfejobs in der Wirtschaft sein. Vielfältige Möglichkeiten bieten haushaltsnahe Dienstleistungen in Haus und Garten oder handwerkliche Leistungen. Es kann auch eine Ausbildung für einen anspruchsvolleren Beruf sein. Weil von den Hartz-IV-Empfängern nach Schätzungen von Fachleuten etwa zwei Millionen schwarzarbeiten, müssten die meisten nur einen kleinen Teil ihrer Schwarzarbeit anmelden. Hilfreich könnte eine Entbürokratisierung des Kleingewerbes sein, weil kleine einfache Arbeiten oft am besten in Selbständigkeit und aus eigenem Antrieb zu organisieren sind. Dennoch könnten manche auch so geringfügige Arbeit nicht finden. Um das aufzufangen gilt:

Die Jobzentren bieten Erwerbsfähigen auch entsprechende Teilzeitarbeitsangebote bei Kommunen, Unternehmen oder in Ausbildungsstellen an.

Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Beschäftigungswirkung tritt daher meist schon im Voraus ein.

Hauptziel bleibt, Arbeit am ersten Markt zu schaffen und das auch in Vollzeit, wo es möglich ist.

Erhöhung der Leistungsanreize für Geringverdiener

Nach der pauschalen Erstattung der 100 Euro möglicher Werbekosten beträgt der Gewinn für „Hilfebedürftige“ von 100 bis 400 Euro je Monat nun 40 Prozent des Mehrverdienstes, von 400 bis 1.000 Euro dann noch 20 Prozent, darüber durchgängig 10 Prozent.

Abbildung 7a zeigt die Veränderung zwischen Bürgergeld 2023 (dunkelgrün) und dem Aktivierenden Bürgergeld (hellblau). Wer sich nicht bewegt, verliert 150 Euro (lila Pfeil nach unten). Wer einen Job von 100 Euro annimmt, hat so viel wie heute.

Über 1.000 Euro brutto ist der Zugewinn zwar nur noch bescheiden. Der Mitnahmeeffekt wäre sonst zu groß gewesen. Verluste gegenüber Bürgergeld 2023 aber gibt es nicht.

Betrachten wir die Rahmenbedingungen für eine Familie mit zwei Kindern in Abbildung 7f Arbeiten beide Eltern, fällt die Werbekostenpauschale von 100 Euro zweimal an. Weil wir den Eltern nicht vorschreiben sollten, wie sie ihre Erwerbstätigkeit untereinander aufteilen, verdoppeln sich nun die Zuverdienstgrenzen unabhängig von der Erwerbstätigkeit. Zudem erweitert sich die 400-Euro-Zuverdienst-Spanne um 50 Euro je Kind.

Nimmt weder sie noch er irgendeine Arbeit an, hat die Familie 290 Euro weniger als mit Bürgergeld 2023 (lila Pfeil nach unten). Erzielt nur einer von beiden ein Bruttoeinkommen von 200 Euro monatlich, haben sie so viel wie heute.

Mit 900 Euro monatlich hat sie 660 Euro mehr als ohne Arbeit. Bisher waren das 270.

Hatten Familien bisher schon 1.500 Euro bis 3.500 Bruttoeinkommen, so erhöht sich ihr verfügbares Einkommen um bis zu 300 Euro (orange Pfeile).

Für diesen Schritt sollten allerdings die finanziellen Lasten zwischen Bund und Kommunen neu geordnet werden, damit von den fiskalischen Ersparnissen beide Seiten partizipieren.

Auch muss Kleinselbständigkeit von bürokritischen Hemmnissen befreit werden.

Zur Vorbereitung des Aktivierenden Bürgergeldes sollte allerdings das Arbeitslosengeld I auch novelliert werden:

Dynamisches Arbeitslosengeld I

Eine Novelle des SGB III

Nach seiner bisherigen Konzeption zielt das Arbeitslosengeld I darauf ab,  nach Verlust eines Arbeitsplatzes eine Wartezeit zu überbrücken, um in absehbarer Zeit auf dem Arbeitsmarkt eine angemessen bezahlte neue Ganztagsarbeit zu erhalten. Dass diese Erwartung schon 1992 ein Trugschluss war, zeigte sich spätestens ab 1992 (Abb. 1). Dieser Fehler darf nicht wiederholt werden.

Angesichts des auf uns zu kommenden Strukturwandels können wir weder davon ausgehen, dass der Staat die geeigneten Arbeitsplätze für uns findet noch dass diese gleich unseren Einkommenserwartungen entsprechen.

Es kommt darauf an, die Kreativität aller Beteiligten zu wecken.

Dazu muss es sich lohnen, auch schon während des Bezuges von Arbeitslosengeld I Arbeit aufzunehmen, selbst wenn diese für sich allein nicht annähernd existenzsichernd ist. Aus jeder zusätzlichen Erwerbstätigkeit kann sich ein neuer Arbeitsplatz oder sogar ein neues Unternehmen entwickeln. Wir sollten also ergänzende Arbeit fördern und dazu schon die Zeit nutzen, in der unsere Solidargemeinschaft zur Absicherung Arbeitslosengeld I zahlt. Um diesen Handlungsspielraum zu vergrößern, kann das Arbeitslosengeld I am Anfang sogar höher sein als bisher, sollte später aber sinken, weil es durch ergänzende Erwerbseinkommen aufgestockt wird, sobald die angebotenen Chancen genutzt werden. Daraus ergibt sich folgender Vorschlag für eine Novelle des SGB III:

1)    Der Freibetrag für neben dem Arbeitslosengeld I erzielte neue Erwerbseinkommen wird von bisher 165 Euro (SGB III § 155) auf 500 Euro monatlich erhöht. Von darüber hinausgehenden Erwerbseinkommen bleiben arbeitszeitunabhängig 40 Prozent des Bruttomehreinkommens als Nettogewinn. Dabei ist die Gesamtsumme auf das frühere Nettoarbeitsentgelt begrenzt. 

2)    Statt für den Zeitraum bis zur „Eingliederung in den Arbeitsmarkt“ ein konstantes Arbeitslosengelde I in Höhe von 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (SGB II § 149) wird zur Unterstützung neuer Erwerbstätigkeit in den ersten 4 Monaten ein Übergangsgeld von zunächst 80 % gezahlt.  Vom 5. bis 8. Monat beträgt es 60 % und vom 9. bis 12. Monat 40 %.

Abbildung 8 verdeutlicht die damit angestoßene Aktivierung des Arbeitsmarktes am Beispiel einer alleinstehenden Bankkauffrau mit einem früheren Einkommen von brutto 3.000 Euro = 1.890 Euro netto im Monat (grün gestrichelte Linie), deren Filiale geschlossen wurde. Sie weiß, dass der zunächst großzügige Zuschuss von 1.512 Euro nach vier Monaten auf 1.134,  und nach acht Monaten auf 756 Euro monatlich sinkt und nach einem Jahr komplett entfällt.

Abwarten ist also keine Option. Bietet ihr das Jobzentrum nun Arbeit mit brutto 2.000 Euro monatlich an oder findet sie das selbst, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie diese Gelegenheit nutzt. Zwar liegt das Nettoerwerbseinkommen 25 % unter ihrem früheren. Es wird aber aufgestockt auf 1.890 netto, im neunten Monat noch auf 1.720 Euro bis nach einem Jahr die Unterstützung entfällt und nur der eigene Nettoverdienst von 1.400 Euro bleibt (blaue Pfeile) mit gute Aussichten zur Weiterentwicklung. Bisher wäre ALG I bei 15 Wochenstunden entfallen: Sie hätte in der Hoffnung auf bessere Angebote ein Jahr lang gewartet. In diesem Beispiel führt die großzügige aber befristete Aufstockung des neuen Erwerbseinkommens sogar zu einer fiskalischen Ersparnis von rund 8.000 Euro. Das Wichtigste aber ist.

Die Beteiligten bleiben immer aktiv:

Findet sie kurzfristig keine Vollzeitaufgabe, wird sie zunächst auch einen Minijob von 500 Euro akzeptieren. Im den ersten vier Monaten sinkt ihr verfügbares Einkommen dabei nicht. Im neunten Monat Jahr fällt es 1.290 Euro (gelber Pfeil).  Ihre Optionen:

Sie findet nun Arbeit z.B. für 2.000 Euro brutto und entgeht damit der Abhängigkeit vom Jobzentrum.

Alternativ könnte sie als Hilfebedürftige Bürgergeldzuschuss beantragen (graue Fläche). Für Unterhalt und Wohnen hätte sie dann monatlich 1.340 Euro (grauer Kreis). 

Das Dynamische Arbeitlosengeld I hat also eine doppelte Wirkung:

Es lohnt sich, nach Jobverlust auch Aufgaben mit geringerer Bezahlung zu übernehmen und damit künftige Aufstiegschancen zu eröffnen.

Selbst wer keine Aussicht hat, in Jahresfrist einen auskömmlichen Job zu finden, wird monatlich mindestens 100 Euro brutto erwirtschaften und damit auch nach einem Jahr mit Aktivierendem Bürgergeld nie unter das Existenzminimum fallen.

       Nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes I sollte jeder mindestens eine kleine Erwerbmöglichkeit entdeckt und damit seine Startchancen im Grundsicherungssystem erheblich verbessert haben. 

Das Dynamische Arbeitslosengeld I sollte daher mindestens 6 Monate vor dem Aktivierenden Bürgergeld eingeführt werden.

Der Verlust eines Arbeitsplatzes wird als Teil eines ökonomischen von allen gemeinsam zu meisternden Umwandlungsprozesses behandelt.

Für diese Neuordnung wirtschaftlicher Zusammenarbeit wird jeder gebraucht.

Jeder, der sich daran beteiligt, kann stolz auf seine Leistung sein.

Denn jeder Versuch – auch ein misslungener – ist ein Teil der Lösungssuche.

–    Wer seinen Arbeitsplatz verliert, wird nicht Gegenstand staatlicher Fürsorge und  Bevormundung.

–    Er bleibt selbst Handelnder.

–    Nicht Zwang sondern eigener Antrieb bewegt zu Engagement.

Erwartete Effekte für Arbeitsmarkt und Fiskus

Was ist als Folge dieser veränderten Situation zu erwarten? Abbildung 9 zeigt das Ergebnis der Modellrechnung: Die Minderausgaben für Haushalte ohne Erwerbseinkommen gegenüber Mehrausgaben für Haushalte mit Erwerbseinkommen überwiegen.

In der kurzen Frist ist zu erwarten, dass gut eine Million bisher untätiger Haushalte irgendeine Beschäftigung aufnimmt (lila Pfeil).

Der Umfang der Arbeitsaufnahme hängt von der Motivation und Leistungsfähigkeit der Betroffenen ab sowie von der Bereitschaft der Unternehmen und Haushalte, das neue Arbeitsangebot zu nutzen. Es wir Zuwachs in allen drei Einkommensgruppen 1-500  Euro (blau), 520-1.000 Euro (dunkelgrün) und über 1.000 Euro (hellgrün) führen.

Der Fiskus profitiert: Lohnersatzzahlungen nehmen ab, Lohnergänzungszahlungen nehmen zu. Dank zusätzlicher Beschäftigung werden zusätzliche Beiträge zu Sozialversicherungen gezahlt.

Per Saldo ergibt sich schon in der kurzen Frist eine fiskalische Ersparnis von über 15 Milliarden Euro jährlich.

Diese Entwicklung würde sich in mittlerer Frist fortsetzen. Die Zahl der Haushalte ohne Erwerbseinkommen sinkt noch um weitere 400.000, der Umfang  der Beschäftigung nimmt noch etwas zu und der fiskalische Gewinn stiege auf insgesamt über 24 Milliarden Euro jährlich. Schließlich würden wir uns einem neuen, wenn auch geringeren Unterbeschäftigungsgleichgewicht nähern.

Wir tun allerdings gut daran, einen solchen Entwicklungsstillstand nicht abzuwarten, sondern sollten uns möglichst bald mit Verbesserungsmöglichkeiten befassen.

–    Angebot und Nachfrage finden rascher zueinander.

–    Arbeitgeber schaffen neue Arbeitsplätze zu Konditionen, mit denen ihre Unternehmen neue Märkte erschließen können.

–    Arbeitnehmer akzeptieren Angebote schneller oder werden Kleinselbständige.

Der Verlust eines Arbeitsplatzes wird als Teil eines ökonomischen von allen gemeinsam zu meisternden Umwandlungsprozesses behandelt.

Für diese Neuordnung wirtschaftlicher Zusammenarbeit wird jeder gebraucht.

Jeder, der sich daran beteiligt, kann stolz auf seine Leistung sein.

Denn jeder Versuch – auch ein misslungener – ist ein Teil der Lösungssuche.

–    Wer seinen Arbeitsplatz verliert, wird nicht Gegenstand staatlicher Fürsorge und  Bevormundung.

–    Er bleibt selbst Handelnder.

–    Nicht Zwang sondern eigener Antrieb bewegt zu Engagement.

Politische Wirkungen

Gut eine Million Haushalte mit eigenem Erwerbseinkommen werden dankbar sein für die späte Anerkennung ihrer Leistungen.

In vielen Haushalten, in denen nach längerer Zeit wieder legal gearbeitet wird, mag das zunächst als lästig erscheinen. Einige werden sich bewusst werden, dass nun auch Rentenansprüche entstehen. Entscheidend aber ist, was sich in den Köpfen bewegt. Sie hatten sich an „das Geld vom Amt“ gewöhnt. Legale Arbeit brachte wenig Gewinn.

Nun erfahren sie, dass sich Arbeitseinsatz wenigstens bei kleinen Leistungen lohnt. Das macht Hoffnung und Mut.

Aber aus anderen Haushalten ohne bisherige Erwerbseinkommen ist Protest zu erwarten. Das wird ein Echo mindestens bei der Linken und bei den Wohlfahrtsverbänden finden. Sie werden das Bundesverfassungsgericht anrufen. Rasch sollte Klarheit geschaffen werden. Der Sachverständigenrat hat 2006 die Argumentation dazu aufgezeigt. Mit Aktivierendem Bürgergeld wird zudem die Forderung des Urteils vom 5.11.19 erfüllt: Unterhaltskürzungen sollten auch real zu Beschäftigung führen.

Je mehr es also gelingt, durch Dynamisches Arbeitslosengeld I, neue Kleinselbständigkeit und kommunale Arbeitsgelegenheiten mindestens kleine Erwerbseinkommen zu erreichen, desto positiver wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ausfallen und damit den Weg für weitere Reformschritte frei geben.

Die meisten Menschen sind nicht abhängig von Transferzahlungen. Sie werden die Forderung nach einem ökonomischen Mindestbeitrag der Leistungsbezieher begrüßen. Sie werden die Veränderungen beobachten.

–    Einige werden überrascht sein, dass bisher Untätige plötzlich aktiv nach Arbeit suchen.

–    Dass mit kommunalen Jobs verkommene Schulräume unter fachkundiger Aufsicht frisch

     gestrichen werden, dürften sie mit Freude zur Kenntnis nehmen.

–    Viele, die „Hartzler“ als „Schmarotzer“ betrachteten, werden begreifen, dass auch diese Menschen der ökonomischen Motivation bedürfen

–    Andere werden darüber nachdenken, ob sie nicht dem einen oder anderen ein kleines Beschäftigungsangebot in ihrem Haushalt oder m Betrieb machen wollen. Entscheiden ist:

Kritik jedoch wird es geben; denn die Ergebnisse sind unzureichend.

–    Es gibt noch immer über eine Million Haushalte ohne Zugang zum Arbeitsmarkt.

–    Die Mindestleistung von 100 Euro brutto gilt vielen als lächerliche Unterforderung. 

–    Mehrleistung im Bereich zwischen 500 und 2.000 Euro Bruttoeinkommen lohnt immer noch nicht.

Diese Kritik aber ist nicht rückwärtsgewandt wie einst der Protest gegen Hartz IV.

Im Folgenden werden Optionen durchgespielt:

Die als Entwicklungsmöglichkeiten beschriebenen Stufen 2 – 4 zeigen Optionen auf, über die erst zu gegebener Zeit entschieden werden kann.

                                 

Die Mehrzahl der Bundesbürger wird es als lächerlich empfinden, dass man beim Aktivierenden Bürgergeld nur Leistungen für 100 Euro monatlich einfordert. Da von Anfang an erklärt wurde, dass es sich nur um einen ersten Schritt handelte, kann man dieser Kritik kurzfristig Rechnung tragen. Die Beweislastumkehr wird erweitert:

Im ersten Reformschritt wäre dies riskant gewesen. Einerseits konnte man nicht sicher sein, dass die Kommunen die benötigten Arbeitsgelegenheiten in der erforderlichen Zahl und Differenzierung tatsächlich bereitstellten, und der drohende Einkommensverlust von 300 Euro hätte zu Protesten der Sozialpolitiker geführt. Beides hätte die Aktivierung diskreditieren können. Nachdem aber schon die Hälfte der bisher inaktiven Bürgergeld-Haushalte erste Erwerbstätigkeit aufgenommen hat und zugleich das Angebot kommunaler Arbeit perfektioniert wurde, dürften solche Proteste kaum mehr Widerhall finden. Auch das Bundesverfassungsgericht wird es akzeptieren, sobald der erwartete Beschäftigungseffekt wirklich eintritt. Aber das muss man eben abwarten.

Das Regeleinkommen zuzüglich 100 Euro Werbekostenpauschale erhält man in Stufe 2 erst bei 200 Euro Bruttoeinkommen. Dafür bleiben von 200 Euro bis 500 Euro 60 % des Nettoeinkommens als tatsächlicher Gewinn statt bisher 40 %, danach werden es 40 statt 30 % bis 1.000 Euro, dann 10 % statt bisher 5 %. Abb. 11a zeigt die Wirkung für Alleinstehende:

Unter 400 Euro Bruttoeinkommen hat man allerdings weniger als in der ersten Stufe. Wer von seiner Schwarzarbeit bisher nur 100 Euro angemeldet hat, wird jetzt mehr davon legalisieren. Wer wirklich nur so wenig arbeitete, wird seine Leistung erhöhen müssen (rote Pfeile nach rechts) und dies auch tun, ohne dass das Jobzentrum ihn dazu antreiben müsste.

Die Wirkungen für Familien sind ähnlich

Während für den ersten Einstieg zwar niemand mehr auf die Aufforderungen der Jobcenter warten muss, um sich zu bewerben, und sich auch alle so verhalten werden, dass sie Jobs auch bekommen – die ökonomische Motivation reicht völlig – ist das bei Leistungssteigerungen über 500 Euro hinaus kaum der Fall. Das beste Wirtschaftsergebnis erzielt ein Alleinstehender mit 500 Euro legaler Arbeit und zusätzlich 1.000 Euro Schwarzarbeit. Damit kommt er dann (Abb. 11a: S, grau gepunktete Linie) auf 1.360 Euro Transfereinkommen zuzüglich ca. 720 Euro bar auf die Hand = 2.080 Euro. Ausschließlich sozialversicherungspflichtige Arbeit hätte ihm 1.500 Euro gebracht. Die Jobzentren müssen ihre Kunden also nach wie vor dazu drängen, entgegen eigenem wirtschaftlichem Interesse auf legalem Wege tatsächlich „alle Anstrengungen zu unternehmen, um aus der Hilfebedürftigkeit herauszukommen“. Für Alleinstehende lohnen Mehrleistungen erst wieder über 2.300 Euro Bruttoeinkommen, für Familien erst über brutto 4.600 Euro Gesamteinkommen. Ergebnis der Modellrechnung für die kurze Frist:

Je mehr Arbeit die Hilfebedürftigen aufnehmen, desto mehr stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt so viel Arbeitsnachfrage? Klar ist, dass sämtliche heute in der Schattenwirtschaft geleistete Arbeit sich in legale umwandeln lässt. Aber neue Arbeitsnachfrage entsteht erst bei einem über einen längeren Zeitraum hinweg gut motivierten Arbeitsangebot zu hinreichend niedrigem Preis. Dann denken potenzielle Arbeitgeber darüber nach, ob sie sich davon Vorteile versprechen können und richten sich darauf ein. Dass wir diese Arbeit zunächst nicht kennen, darf nicht wundern. Wir haben eine Situation geschaffen, in der sie nicht existieren konnte, weil sie nicht lohnte. Um den Prozess der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft zu beschleunigen, sollten die Jobzentren dafür werben.  Hier einige Beispiele

Versicherung gegen Unterbeschäftigung

Das Aktivierende Bürgergeld ist Antwort auf die Herausforderungen des technischen Fortschritts und der Globalisierung, in deren Folge Menschen auch bei Einsatz ihrer Fähigkeiten in vielen Fällen oft nicht von dem Lohn leben können, der sich am Markt bildet. Mit Stufe 3 wird es aber praktisch keine Arbeitslosigkeit mehr geben, weil in jedem Haushalt wenigstens ein wenig erwirtschaftet wird.

Man könnte das Bürgergeld als negative Einkommensteuer definieren. So hatte es Joachim Mitschke 1985 erstmals in der Tradition Milton Friedmans konzipiert. Das gleiche inhaltliche Ziel lässt sich aber auch durch eine Versicherungsleistung organisieren und auf diese Weise ein ganz anderes Problem der Globalisierung lösen:

Mit der vorgesehenen Stützung der unteren Einkommen sind wir einer der attraktivsten Sozialstaaten der Welt. Wir sollten ihn nicht leichtfertig denen öffnen, die zu seiner Finanzierung nichts beigetragen haben. Bisher kann eine Nigerianerin nirgendwo vier Kinder so sicher und umsorgt aufziehen wie bei uns und selbst eine 13-köpfige Familie aus Anatolien samt zur Versorgung aufgenommenem Adoptivkind kann Anspruch auf Bürgergeld anmelden. Ist das Missbrauch? Nein: Recht! Wenn wir in gleicher Lage wären und unsere Nachbarländer hätten ähnliche Gesetze, würden wir uns wahrscheinlich auch so verhalten.

Solange das Bürgergeld eine sozialverpflichtete Umverteilung der in der Bundesrepublik lebenden Menschen ist, wird es von allen in Anspruch genommen werden können. Hier muss eine klare juristisch nicht anfechtbare Abgrenzung erfolgen. Und diese Regelung sollte ausschließlich in der Kompetenz unseres Staates liegen und damit von Entscheidungen auf europäischer Ebene unabhängig sein. Wie kann das geschehen?

Weil wir natürlich möchten, dass auch unsere Partner und Kinder in die soziale Sicherung einbezogen werden, ist die Bürgergeldversicherung eine Familienversicherung wie heute schon die Kranken- oder Rentenversicherung. Kinder sind damit bei Ihren Eltern versichert und haben beim Berufseinstieg sofort die Chance einen Job zu finden, von dem sie leben können.

Wer noch immer ohne Erwerbseinkommen auf dem Arbeitsmarkt ist, ist entweder in kommunaler Beschäftigung oder in der Schattenwirtschaft oder hat andere Einkünfte und ist in Wahrheit gar nicht hilfebedürftig. In jedem Falle ist dies Stress oder Einkommensverlust.

Bedarfsgemeinschaften mit einem Bruttoeinkommen von 200 bis 500 Euro monatlich je Erwerbsperson haben zwar stets mehr als das Existenzminimum und z.T. auch mehr als unter Hartz IV. Ihre Reaktion dürfte ambivalent sein: Einerseits spüren sie, dass sich Wege aus der Stagnation eröffnen. Andererseits werden viele das als Stress erleben, die sich an das arbeitsfreie Geld vom Amt gewöhnt hatten.

Die größte Gruppe der Hilfebedürftigen mit mehr als 500 Euro je Erwerbsperson hat erstmals erlebt, dass sich Arbeit lohnt. Diese Haushalte verfügen über deutlich mehr als in 2023 und mit Stufe 2 hat sich ihre Lage noch ein weiteres Mal verbessert.

Aber 38 Millionen Haushalte sind nicht unmittelbar betroffen von Hartz IV:

Während die ersten beiden Stufen relativ knapp hintereinander folgen könnten, erzwingen die weiteren stärkere Anpassung des Marktes. Das gilt für Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage gleichermaßen. Um dafür einen sanften Druck zu erzeugen kann es sinnvoll sein, den nächsten Schritt mit jährlich anzupassenden Parametern in Zwischenstufen aufzuteilen:

In der dritten Stufe werden die Leistungsanreize noch einmal deutlich erhöht. Das ist natürlich nur möglich, wenn auch das ohne Arbeit verfügbare Einkommen weiter gesenkt wird: Das Modell entspricht nun weitgehend dem Konzept der Aktivierenden Sozialhilfe des ifo-Instituts aus 2006 von Hans-Werner Sinn. Vom Verfassungsgericht dürfte zu diesem Zeitpunkt endgültig geklärt worden sein, dass wie schon vom Sachverständigenrat behauptet, die Einbeziehung der Bürger in das Wirtschaftsleben dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes besser Rechnung trägt als sie mit existenzsichernden Lohnersatzzahlungen ruhig zu stellen. In Stufe 3 gilt daher:

Wer bisher jedoch nicht mehr als 1.000 Euro monatlich erwirtschaftete, verliert nun allerdings etwas (Abb. 12a, lila Pfeile nach unten). Überfordert wird dabei niemand: Mit nur 300 Euro Bruttoeinkommen im Monat bzw. 4.800 Euro im Jahr erreicht man das Existenzminimum. Das sind nur 5 Stunden wöchentlich bei 15 Euro Stundenlohn. Bei mehr als 1.500 Euro Bruttoeinkommen gewinnt man jedoch (orange Pfeile nach oben). Im Übrigen gilt:

Von den wenigen, die jetzt noch ohne Arbeit sind, dürften die meisten übrigens Dynamisches Arbeitslosengeld I beziehen, weil die Lücken zwischen einem und dem nächsten Job kürzer werden.

In den ersten beiden Stufen ging es darum, möglichst allen Bedürftigen überhaupt einen verlässlichen Zugang zum Arbeitsmarkt zu sichern. Bei denen, die abseits standen, wurde dabei bisher in Kauf genommen, dass der Arbeitsumfang noch recht bescheiden war. Wir konnten so davon ausgehen, dass dafür hinreichende Nachfrage gegeben war.

Mit der dritten Stufe soll der Umfang der geforderten Leistungen ausgeweitet werden. Dabei wird es nicht reichen, sich auf die Motivation des Arbeitsangebotes zu verlassen. Jeder Arbeitgeber muss die geschaffenen Waren und Dienstleistungen auch zu einem kostendeckenden Preis anbieten können. Jeder Haushalt wird eine Dienstleistung nur in Anspruch nehmen, wenn der Wert der gewonnenen Freizeit oder ein damit mögliches Zusatzeinkommen höher scheint als der zu zahlende Preis.

Der Anhang untersucht unsere Handlungsspielräume anhand der Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes von 1993 bis 2013. Ergebnis: Zwar werden die meisten Menschen deutlich mehr als den Mindestlohn erwirtschaften können; aber die zusätzliche Nachfrage nach Arbeit dürfte im Bereich von 5-15 Euro Stundenlohn zehnmal so hoch sein wie im Bereich von 12-20 Euro. Wenn wir also den bisher geringfügig Beschäftigten eine rasch zu realisierende Chance auf einen Vollzeitjob geben wollen, kann man geringere Löhne nicht mehr auf Ausnahmefälle beschränken. In der dritten Stufe gilt darum:

Nach den vorangegangenen Reformstufe 2 dürfte dies von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. An einigen Beispielen wird man das verdeutlichen können:

Fall 1: Eine verheiratete Ärztin möchte nach der Geburt ihres zweiten Kindes gerne wieder ihrem Beruf nachgehen. In der Schwangerschaftsvorbereitung hat sie eine andere Mutter kennengelernt, die bereit wäre, die drei Kinder gemeinsam in ihrem Hause aufzuziehen. Als junge Ärztin erhält sie netto 2.000 Euro. Sie hat sich überlegt, sie wäre bereit, 1.400 Euro dafür aufzuwenden. Ihr bleibt dann zwar nicht viel Zugewinn übrig; aber es ist für sie die einzige Möglichkeit, sich beruflich weiterzuentwickeln und mehr Verantwortung übernehmen zu können. Das Hauptzollamt müsste es verbieten: Zwar hätte die andere Frau damit 1.200 brutto und mit Kindergeld und Liberalem Bürgergeld Stufe 3 monatlich 1.400 Euro netto. Aber der Stundenlohn läge nahe 7 Euro und damit weit unter dem zulässigen Mindestlohn.

Fall 2: Eine alte Dame mit 1.600 Euro Rente möchte nicht ins Altersheim, kommt aber allein nicht mehr zurecht. Sie kann sich vorstellen, für eine Halbtagsbetreuung 600 Euro, also 8 Euro/ Stunde zu zahlen. Eine Bekannte, 55 Jahre, wäre bereit dazu. Sie hatte ihren Job verloren und sieht keine Aussicht auf Neuanstellung, nachdem das Arbeitslosengeld 1 ausgelaufen ist und erhält bisher 1.000 Euro Rente. Mit dann 1.600 Euro hätte sie beim Aktivierenden Bürgergeld Stufe 3 (Abb. 12a) ein Nettoeinkommen von 1.500 Euro. Aber ein entsprechender Vertrag würde gegen das Mindestlohngebot verstoßen und wäre damit unzulässig. Der Verwaltungswirtschaftler muss dies untersagen und schickt die Dame ins Heim. Ihr Einkommen würde als Eigenanteil genügen. Die restlichen Kosten wären zu Lasten der Allgemeinheit aus der Pflegekasse zu bestreiten. Dabei gibt es doch gar keinen Grund, warum die beiden Frauen sich nicht in dieser Weise einigen dürften:

Fall 3: Die Stadt Mansfeld-Südharz hat seit der Wende 25 % seiner Einwohner verloren und noch immer eine Arbeitslosenquote von fast 10 %. Da hat ein pfiffiger Unternehmer die Idee, traditionelle Korbmöbel herzustellen und sie online bundesweit zu vertreiben. Die Fertigung ist sehr arbeitsintensiv. Bei 13 Euro Mindestlohn, wie er Korbflechtern in Köln gezahlt wird, wären seine Möbel nicht konkurrenzfähig. Startet er nun aber mit 7 Euro Stundenlohn, könnte er sie preiswert überallhin absetzen. Für seine Mitarbeiter wäre das gar kein Problem. Bei 1.200 Euro Bruttolohn hätten sie in Stufe 3 des Liberalen Bürgergeldes als Alleinstehende 1.450 Euro netto. Wenn sie womöglich ihr Gemüse aus dem elterlichen Garten beziehen, kann das sogar ein recht akzeptables Einkommen sein. Jedenfalls wäre ihr Lebensstandard wesentlich höher, als wenn sie mangels örtlicher Arbeit in eine Großstadt ziehen und dort bei etwas höherem Lohn sehr hohe Mieten zahlen müssten. 

Fall 4: Ein junger Ingenieur will ein neues Gerät entwickeln, von dem er sich großen Nutzen verspricht. Er schätzt, dass er zur Marktreife ein ganzes Jahr lang einen Mitstreiter braucht. Er kennt auch einen geeigneten jungen Mann, der von dem Projekt überzeugt ist. In einem etablierten Unternehmen könnte der in dieser Zeit allerdings ein Gehalt von 40.000 Euro erwarten. Mit der Aussicht im Erfolgsfall später wesentlich mehr zu verdienen, ist er bereit, ein Jahr lang für 20.000 Euro mitzumachen. Das wären aber nur 10 Euro je Stunde. Soviel sowie den Arbeitgeber-Anteil zu Sozialversicherungen könnte der Ingenieur grade noch bereitstellen. Für die junge Familie wäre es aber ausreichend. Mit Aktivierendem Bürgergeld Stufe 3 hätte sie 2.950 Euro monatlich. Soll das Zollamt den Vertrag untersagen, weil er gegen das Mindestlohngebot verstößt und ihn auffordern gefälligst zu warten, bis ihm vielleicht ein staatlicher Wagniskredit gewährt wird? Beiden Seiten schien es die bestmögliche Entscheidung zu sein. Ob das Projekt ein Erfolg wird, lässt sich vorab nicht sagen. Vielleicht bekommen sie ja nach einem Jahr den gewünschten Kredit.

Im Fall 1 kann die Kinderbetreuerin vielleicht ein oder zwei weitere Kinder umsorgen und dabei mehr als den Mindestlohn erzielen. Der Altenbetreuerin aus Fall 2 gelingt es vielleicht, eine Alten-WG zu organisieren und dabei deutlich mehr zu verdienen. Falls die Korbmöbel aus Fall 3 ein Erfolg werden, werden die Preise erhöht und bessere Löhne gezahlt. Der Ingenieur aus Fall 4 wird im Erfolgsfalle den Lohn für seinen Mitstreiter mehr als verdoppeln. Andernfalls haben beide viel gelernt und müssen einen neuen Anfang suchen.

Spätestens in der dritten Stufe werden wir gesellschaftliche Zusammenhänge darstellen müssen und dann auch verstanden werden:

–    Technischer Fortschritt und Globalisierung drücken durch Konkurrenz von Maschinen und ausländischer Arbeit die Bruttolöhne, die sich bei uns am Markt im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ergeben.

–    In der Folge können viele Erwerbstätige bei uns davon nicht angemessen leben.

Deshalb zerbricht das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft, dass jeder bei Einsatz seiner Fähigkeiten vom Marktlohn einen anerkannten Platz in unserer Gesellschaft findet.

Das hat zur Folge:

Linke werden weiterhin kritisieren, dass Menschen so unter Druck gesetzt werden, dass sie arbeiten müssen. Weil nun aber fast alle in irgendeiner Form im Erwerbsleben stehen und Erfolge damit erleben, werden sie damit wenig Widerhall finden.

Hilfebedürftige mit Einkommen bis 800 Euro werden kleine Nettoverluste hinnehmen müssen. Soweit sie sich nicht engagieren, werden sie enttäuscht sein. Aber dafür werden sie nun von den Jobzentren kaum noch bedrängt, sich vermehrt um bessere Arbeit zu bemühen. Das tun sie jetzt aus eigenem Antrieb und die Agentur für Arbeit erleben sie nun nicht mehr als Kontrollorgan sondern als echten Dienstleister. Ein anderer Teil der Betroffenen wird sich gestärkt fühlen durch die Anerkennung. Die Senkung der Transferleistungen wird entweder durch höhere Leistungen oder höhere Löhne ausgeglichen, weil die Nachfrage gewachsen ist Die Reaktion dieser gut einer Million Haushalte wird also nicht einheitlich sein.

Die obersten gut zwei Millionen betroffener Haushalte partizipieren durch die erneute leichte Anhebung der Transfers. Sie erleben zugleich wachsende Anerkennung ihrer Leistungen mit entsprechenden Lohnsteigerungen durch wachsende Löhne. Zudem ist der Nettogewinn von Mehrarbeit gewachsen und damit ihre Bereitschaft zu Leistungssteigerungen.

Entscheidende Voraussetzung für den Erfolg dieser Phase wird sei, Zusammenhänge des Marktes begreifbar zu machen und Sie anstelle bisheriger Scheinwahrheiten ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Dazu haben die ersten drei Stufen des Aktivierenden Bürgergeldes schon genug Anschauungsmaterial geboten:

Aber Kritik wird nun von den Nicht-Hilfebedürftigen kommen. Sie erhalten bisher keine Erleichterungen, wenn sie dank ökonomischer Umbrüche gezwungen sind, geringer bezahlte Arbeit anzunehmen. Sie wagen nicht, Kindern ein Leben zu schenken, weil sie Karriereeinbrüche und gravierende Einkommensverluste fürchten.

Mit jedem Schritt wurden Hilfebedürftige stärker in das Wirtschaftsgeschehen einbezogen. Alle anderen hatten davon zwar auch Vorteile. Aber je weiter dieser Prozess fortschreitet, desto eher werden sich nicht Hilfebedürftige fragen, warum Menschen bei gleicher Arbeit am gleichen Ort über ganz unterschiedliche Nettoeinkommen verfügen. Der alleinstehende Verkäufer mit brutto 1.400 Euro hat netto 1.040 Euro (Abb. 13a, blau), falls er im eigenen Haus lebt, sein Kollege als Mieter für die gleiche Leistung 1.500 Euro netto (rot). Der Familienvater hat als Lagerarbeiter mit brutto 2.000 Euro, wenn er über Eigentum verfügt, netto 2.050 Euro, jedoch 3.100 Euro, wenn er ohne Eigentum ist und seine Hilfebedürftigkeit nachweisen kann. Auf Dauer wird das Empörung auslösen:

Hilfebedürftige sind nun zwar aller Nachweisverpflichtungen vor den Jobzentren entledigt und können ohne Nachteile Vermögen bilden und Erbschaften annehmen. Aber in Stufe 4 verlieren sie als Alleinstehende (Abb.13a orange) bis zu 400 Euro im Monat. Protest ist sicher. Um das Existenzminimum mit Unterhalt und Kosten der Unterkunft in einer Großstadt zu sichern, benötigt der Alleinstehende allerdings nur 1.050 Euro Bruttoeinkommen, also z.B. Halbtagsarbeit bei 13 Euro Stundenlohn (blauer Punkt).

Geringere Einkommen sind nach Durchlaufen der ersten drei Stufen des Bürgergeldes die seltene  Ausnahme: Um Menschen, die nicht mehr erwirtschaften, weil sie mit eigenem Vermögen, kostenlosem Wohnen, Gemüseanbau, Unterstützung durch Freunde oder Schwarzarbeit genug haben oder gar um Kriminelle müssen wir uns mindestens keine ökonomischen Sorgen machen. Wer dann noch nicht versorgt ist, kann sich an die Kommune wenden und seinen Regelbedarf durch eine Arbeitsgelegenheit (orange gepunktete Waagerechte) decken. Für langfristig Kranke oder Erwerbsgeminderte muss es allerdings eine Sonderregelung geben.

 

Für Familien (Abb. 13f) erweitert sich die 90-Prozent-Zugewinnstufe um 100 Euro je Kind.

Zur Existenzsicherung genügt in der Großstadt 1.800 Euro gemeinsames Bruttoeinkommen.

Man wird erwarten, dass sie mehr leisten (rote Pfeile). Sollten sie jedoch keine Möglichkeit sehen, steht die Kommune mit ihrem Angebot von Arbeitsgelegenheiten weiterhin bereit. Da der erste Markt sicher bessere Verdienstmöglichkeiten hergibt, werden sie dort suchen und auch etwas Passendes finden. Ergebnis:

Abbildung 18 fasst die Ergebnisse der Modellrechnung für bisher Hilfebedürftige zusammen.

Dabei beziehen sich die fiskalischen Gewinne stets auf die Veränderung gegenüber der vorigen Stufe.

Ob in Betrieben oder in Privathaushalten: Die Nachfrage nach den nun durchgängig gut motivierten Mitarbeitern wächst. So lange sich von deren Leistung jemand Vorteile erhofft, besteht kaum Gefahr, dass Betriebe sie dauerhaft für Minimallöhne arbeiten lassen könnten. Das verhindert nun der Markt. Diese Arbeitnehmer werden alles daran setzen, dem Arbeitgeber höhere Löhne abzutrotzen, um die mit dem vierten Reformschritt zunächst hingenommenen Einkommenseinbußen auszugleichen. Die bisher nicht Hilfebedürftigen hingegen werden sich gegen jeden Versuch zur Senkung ihrer bisherigen vertraglichen und zunächst ja noch arbeitsrechtlich geschützten Löhne massiv zur Wehr setzen und Gewerkschaften werden sie darin mit Nachdruck unterstützen.

–     Das Prinzip der Bedarfsgemeinschaften ist aufgehoben.

      Ob und wie Menschen zusammenleben, geht den Staat nichts mehr an.

–     Eine Vermögensanrechnung findet nicht mehr statt.

      Der Staat will niemanden benachteiligen, der sparsam lebt und Kapital bildet.

      Für die Behandlung ererbten Vermögens ist nur die Erbschaftssteuer zuständig.

Die finanziellen Entlastungen bei den nach SGB II Hilfebedürftigen addieren sich in der Summe der vier Stufen auf jährlich mehr als 30 Milliarden Euro. Welche ökonomischen Auswirkungen aber haben die Veränderungen für die übrige Gesellschaft?

1.   Übergangsgeld anstelle des bisherigen Arbeitslosengeldes I dürfte jährliche Einsparungen von etwa 10 Milliarden Euro bringen.

2.   Die Übernahme von  Hilfsarbeiten durch Leistungsschwächere erhöht die Produktivität der höher qualifizierten Mitarbeiter und damit deren Einkommen und Steuerzahlungen.

3.   Das Angebot günstigerer haushaltsnaher Dienstleistungen entlastet Erwerbstätige und ermöglicht ihnen, ihre besser bezahlte Haupttätigkeit auszudehnen.

4.   Der Fortfall aller Bedürftigkeitsprüfungen bei der Bundesagentur für Arbeit lässt Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro jährlich erwarten.

5.   Stärkeres selbstverantwortliches Handeln bisher „Hilfebedürftiger“ macht staatliche Hilfe in vielen Fällen unnötig. Betroffene lösen ihre Probleme selbst.

6.   Etwa drei Millionen Kinder lernten bisher von ihren Eltern, dass Leistung nicht lohnt. Nun erfahren sie das Gegenteil und dass Lernen sie voranträgt Es wird sicher einige Zeit in Anspruch nehmen, bis dies voll zum Tragen kommt. Aber wenn in der nächsten Generation die Hälfte der betroffenen Jugendlichen ihre Leistungen auch nur um 20 % erhöht, führt es bereits zu einer Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um mehr als 250 Milliarden Euro und zu fiskalischen Gewinnen in Höhe von jährlich über 100 Milliarden Euro.

7.   Gesellschaftliche Anerkennung von bisher frustrierten Außenseitern führt zu weniger Kriminalität. Auch über Generationen gewachsene Verhaltensstrukturen lösen sich langsam auf.

8.   Die Neigung zu Schwarzarbeit auch der Leistungsstärkeren dürfte zurückgehen, wenn dies gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert wird. Würde auch nur ein Fünftel der Schattenwirtschaft der nicht Hilfebedürftigen in legale Arbeit umgewandelt, führt dies zu staatlichen Mehreinnahmen von etwa 25 Milliarden Euro jährlich.

Die Schätzungen der Wirkungen emotionaler Veränderungen erscheinen natürlich reichlich spekulativ. Aber dass man sie nicht gering achten darf, wurde im Rahmen der Diskussion um die europäische Schuldenkrise deutlich. So dürfte z.B. ein Teil der griechischen Schuldenkrise durch den von Jahrhunderten Osmanischer Unterdrückung bedingt sein, wonach der Staat der Gegner ist und Steuerzahlungen grundsätzlich Geldverschwendung sind, was eine ganz andere Qualität hat als die bei uns nicht ungewöhnlichen Versuche zu „Steuerersparnissen“.

Man sieht daran, wie Verhaltensweisen, die in den Köpfen der Bürger verankert sind, oft weit größere Wirkungen entfalten als dies die unmittelbaren Veränderungen des Transfersystems zunächst  erwarten lassen. Danach ist zu vermuten, dass die tatsächlichen durch den Mentalitätswandel bedingten Veränderungen noch wesentlich stärker ausfallen als hier ansatzweise skizziert. Über alle sozialen Aspekte hinaus wird damit deutlich:

–     Löhne müssen unter Beteiligung der Sozialpartner am Markt gebildet werden.

–     Nur dann ist es möglich, alle Menschen in den Wirtschaftsprozess zu integrieren.

–     Wir wünschen uns zwar höhere Löhne; aber nicht immer werden Marktlöhne uns reichen.

–     Die Sicherung eines „gerechten Lebensunterhalts“ für alle Bürger hingegen ist Aufgabe des Staates.

–     Er kann diese Aufgabe nicht generell an die Arbeitgeber delegieren.

Nicht nur die Arbeitnehmer sondern auch der Staat wegen der resultierenden Sozial- und Steuerabgaben haben Interesse an höheren Löhnen. Zum Ausgleich der oft schwachen Marktmacht der Arbeitnehmer sind die Gewerkschaften gefordert. Aber auch sie haben den vierstufigen Wandlungsprozess des Arbeitsmarktes miterlebt und gesehen, welche positive Wirkung niedrige Löhne unter bestimmten Bedingungen haben können. Die Tarifpartner könnten nach diesen Erfahrungen zu neuen Ergebnissen kommen:

–    Niemand wird mehr als Hilfebedürftiger deklassiert und stigmatisiert.

–    Niemand muss mehr fürchten, aus einem Job in das Milieu der von staatlicher Fürsorge Abhängigen zu fallen.

–    Jeder kann sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft fühlen.

Die Leistungsschwächeren haben keinen Grund, sich gegen „die da oben“ zu empören, denn sie treffen immer auf jemanden, der ihre Leistungen zu schätzen weiß.

Leistungsstärkere haben keinen Anlass, auf die Schwächeren hinabzuschauen, denn sie haben erfahren, dass jeder von ihnen irgendeine sinnvolle Aufgabe erfüllt, von der auch sie möglicherweise einmal profitieren können.

–    Kinder aufzuziehen macht mehr Freude und ist nicht mehr wirtschaftliche Bürde.

–    Kaum noch wachsen Kinder in Armut auf.

Es wächst das Gefühl der Solidarität:

Das wichtigste Ergebnis für die nächste Generation wird sein:

Wir können uns heute eine solche Gesellschaft kaum vorstellen; so verschieden ist sie von der jetzigen. Es gibt deshalb keinen Grund, über den Reformprozess in seiner Gesamtheit Beschluss zu fassen. Die angeführten Stufen 2 bis 4 sind nur Optionen. Nach jedem Schritt sind dessen Wirkungen zu überprüfen und ein nächster Schritt darauf abzustimmen.

Je später wir starten, desto mehr Arbeitsmöglichkeiten im Niedriglohnbereich hat die Wirtschaft durch Kapitaleinsatz ersetzt, desto mehr Verbote behindern die Entwicklung des Marktes und desto mühsamer wird der notwendige Reformprozess. Man sollte also damit nicht warten, bis in einer möglichen Depression wie 2005 wachsende Arbeitslosenzahlen zum Handeln zwingen.

Mit höheren Löhnen möchten wir alle an der Steigerung der Produktivität unserer Wirtschaft Teil haben. So sehr technischer Fortschritt, globaler Handel und nun auch künstliche Intelligenz diese Produktivität steigern, so sehr begrenzen sie zugleich mögliche Löhne, weil sie Konkurrenz zu unserer Arbeit schaffen. Diese Zusammenhänge sollen im Folgenden untersucht werden:

Abbildung 21 baut auf den Erhebungen des Sozioökonomischen Panels des DIW Berlin auf. Es zeigt – zunächst für 1993 – in blauen Säulen3 mit grüner Umrandung, wie viele Menschen Bruttolöhne zwischen einem vollen Euro und dem jeweils nächsten verdienten. Hier wurde die nach Angaben der Erwerbstätigen nicht nach Vertrag sondern tatsächlich geleistete Arbeitszeit umgerechnet auf Vollzeitstellen sowie auf Preise von 2017. So erhielten z.B. zwischen 14 Euro und 15 Euro je Stunde 2,32 Millionen Menschen, zwischen 17 und 18 Euro jedoch nur 1,68 Millionen. Oberhalb 14 Euro Bruttolohn und damit über 8 Euro Nettogewinn je Stunde dürfte es kaum unmotivierte Arbeitnehmer geben. Die Zahl der Arbeitsplätze sinkt mit steigenden Löhnen. Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage sind von Transfereinkommen unbeeinflusst und bilden ein Gleichgewicht. Die grüne Kurve fasst es zusammen.

Links der Mitte dürfte die Nachfrage der Arbeitgeber mit wachsenden Gewinnspannen noch weiter steigen (grün gepunktet). Das Angebot der Arbeitnehmer hingegen kann langsam davon abweichen, weil irgendwann Freizeit mehr wert ist als der Stundenlohn. Dies ist als Grenze des fiktiven Marktpotenzials mit gelber Linie grob skizziert. Als fiktiv wird es bezeichnet, weil es so viele Erwerbsfähige gar nicht gibt.

Betrachten wir nun die drastische Veränderung dieses Arbeitsmarktes unter dem Eindruck von Automation und Globalisierung bei gleichzeitiger Absicherung eines Mindestlebensstandards in den folgenden zwölf Jahren in Abbildung 22 zwischen 1993 (grüne Linien) und 2005 (blaue Linien):

Die neuen Bundesländer holten auf. Der Westen erlebte einen Produktionsschub. Die Nachfrage nach Spitzenleistungen im Management, das für weltweite Aktivierung der günstigsten Ressourcen und damit für Entlassungen ebenso wie für Überleben der Firmen zuständig ist, wuchs. Das Gleiche gilt für Fachleute im Ingenieurwesen, die für Qualitätsvorsprünge und neue Produkte Verantwortung tragen. Sie sind die Globalisierungsgewinner (orange Flächen). Leistungen jedoch, die im Ausland preiswerter erbracht, durch Maschinen ersetzt oder durch Rationalisierung eingespart werden können, sanken im Preis. Für einige wurde das durch höheren Maschineneinsatz oder persönliche Qualifizierung aufgefangen, dann gehörten sie zu den Gewinnern mit höheren Stundensätzen (grün zu orange). Für andere hingegen gab es „keine lohnende Arbeit“ mehr. Demotiviert gaben sie auf (lila Pfeile).

Abbildung 23 zeigt die Wirkung von Hartz IV in den ersten drei Jahren von 2005 (blau) bis 2008 violett):

Automation und weltweite Arbeitsteilung schritten weiter voran. Im Bereich der Marktwirtschaft gab es sowohl Gewinner mit wirklich hohen Einkommen (ganz rechts) als auch Aufsteiger (rote Pfeile, hellgrün zu orange). Aber nun wurde ein Teil des Marktpotenzials im Niedriglohnbereich genutzt. Neue Arbeitsplätze zwischen 5 und 15 Euro wurden nicht nur angeboten sondern auch angenommen. Das waren die neuen Geringverdiener.

Zwischen 2005 und 2008 war die Entwicklung vor allem durch die neue Motivation der Erwerbsfähigen angetrieben worden. Zwischen 2008 (Abb. 7, violett) und 2013 (rot) lernten die Arbeitgeber die so entstandenen Möglichkeiten kostengünstigerer Produktion zu nutzen. Zwar kamen einige Ein-Euro-Jobber in normalere Jobs und verdienen damit mehr (grün zu hellgrün) und bei hohen Einkommen gab es weitere Gewinner (grün zu orange). Per Saldo aber traten vor allem Arbeitsplätze zwischen 9 und 13 Euro (hellblau gerastert) an die Stelle von solchen zwischen 14 und 19 Euro (lila) Das waren die Absteiger. Die Kombination aus leicht sinkenden Lohnkosten, weiteren Innovationen und Auslagerung lohnintensiver Produktionsteile bescherte Deutschland wachsende Exportüberschüsse und den Wirtschaftsboom.

Interessant wäre die Wirkung der Mindestlöhne. Die Daten sind aber noch nicht ausgewertet.

Abbildungen 25 und 26 skizzieren unseren künftigen Handlungsspielraum für 2030. Gibt es

keine motivierende Arbeitsmarktreform oder wirkt gar das Verbot unter Mindestlohn zu arbeiten weitgehend (braun), entfallen auch im unteren Bereich Arbeitsplätze (dunkelblau).

Bei dieser vorsichtigen Schätzung wird unterstellt, dass Mindestlöhne weitgehend durch  Akkordarbeit, nicht registrierte Mehrarbeit und selbständige Tätigkeit unterschritten werden. Mittlere Löhne werden dadurch zwar etwas in die Höhe gedrängt, so dass sich die Gleichgewichtslinie etwas mehr krümmt (Abb. 25, braun).

Wird aber volle Motivation auch im Niedriglohn geschaffen (orange Linien) entstehen genügend neue Arbeitsplätze (hellblau gerastert). Selbst geschätzte eine Million Flüchtlinge und zwei Millionen bisher untätiger Hartz-IV-Empfänger könnten dauerhaft integriert werden.

Dabei gibt es auch genug Arbeit für weniger Qualifizierte. So hat z.B. das „Institut Zukunft der Arbeit“ 2005 in einer Studie gezeigt, dass damals bei einem Stundensatz von 13,0 Euro zwar nur 17 % der deutschen Haushalte familienunterstützende Dienstleistungen nutzen würden, bei 5,0 Euro sei das aber von 58 % zu erwarten. Das heißt, wir würden sehr viel mehr Dienstleistungen als heute in Anspruch nehmen, wenn das zu einem geringeren Preis möglich wäre. Und genau das lohnte schon unter Hartz IV bisher nicht: Haushalte konnten so viel nicht zahlen – Erwerbslose waren mit geringerem Lohn nicht zufrieden. Und deshalb können wir uns nicht einmal vorstellen, welche Möglichkeiten sich damit eröffnen.

Auch wenn hier natürlich vieles Spekulation ist, dürfte doch klar sein:

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