Noch immer Kaiser Wilhelms Alterskonzept?
Die rot-grün-gelben Regierung ist als Koalition des nachhaltigen Fortschritts angetreten. Im Bereich des demografischen Wandels erweist sie sich nach Auffassung aller Fachleute und der öffentlichen Kommentatoren jedoch als rückwärtsgewandt. Während in 2019 26 % des Bundeshaushaltes als Steuerzuschüsse in die Rentenversicherung flossen, würde das in 2060 mehr als 55 % sein, wenn, wie beschlossen, das Rentenniveau nicht unter 48 % und der Rentenbeitrag nicht über 20 % steigen dürfe, so der wissenschaftliche Beirat beim BMWI.
Ohne nachhaltige Lösung des Generationenproblems kann auch die Energiewende nicht gelingen. Das Geld dafür wird nicht mehr übrig sein.
Wenn in 2025 die Rentenkasse leer ist, wird dies aber nicht Ergebnis eines Mangels sondern unseren Fortschritts sein. Dank großartiger Leistungen unserer Mediziner und unserer arbeitsteiligen Welt leben wir immer länger und bleiben länger gesund. Mit der rasanten Entwicklung hat unsere Lebensgestaltung nur nicht Schritt gehalten:

Wer unter Bismarck mit 70 in Rente ging, hatte im Mittel noch 7 Jahre vor sich. Mit einem Beitrag von 1,7 % des Lohns der Erwerbstätigen war das leicht zu finanzieren.

Unter Ludwig Ehrhard zahlten 100 Erwerbstätige bereits für 25 Ruheständler.

Heute finanzieren 100 Erwerbstätige 60 Ruheständler. Bald werden es mehr sein.

Am Ende unseres Jahrhunderts werden 100 Erwerbstätige etwa 100 Ruheständler ernähren müssen, wenn wir so weiter machen. Das heißt, jeder Erwerbstätige muss nicht nur sich und seine Familie sondern zusätzlich einen Ruheständler unterhalten.
Das macht keinen Sinn! Weder können wir diese Last den Jungen aufbürden noch entspricht das den Bedürfnissen vieler Alten.
Wir müssen das Alter neu denken. Wir schicken die Alten nicht ins Abseits:
Wir lassen Ihnen die Freiheit, den dritten Lebensabschnitt ohne wirtschaftliche Not zu genießen und mobilisieren ihre schöpferischen Kräfte zu gemeinsamem Nutzen:

Hier stehen wir allerdings vor einem psychologischen Phänomen. Wissenschaftler der Universität Chicago haben dafür den Begriff „End of History Illusion“ geprägt: Aus einer Umfrage bei 19.000 Frauen und Männern zwischen 18 und 68 Jahren folgerten sie, dass wir uns im Rückblick zwar mit Freude an die vielfältigen Wandlungen unserer Persönlichkeit in allen Lebensabschnitten erinnern, zugleich aber annehmen, einen gewissen Endpunkt erreicht zu haben. Wir können uns nur schwer vorstellen, dass wir für die Zukunft noch zu weiteren Wandlungen fähig sind. Diese Einschätzung teilten die meisten, einerlei ob man sie mit 25, 45 oder 65 Jahren befragte. Erst als sie mit den Befragungsergebnissen konfrontiert wurden, stellten sie fest, dass sie offenbar einem Trugschluss erlegen waren. Jede Altersgruppe hatte ihre zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten unterschätzt. Wenn wir erkennen, dass wir im Rentenalter durchaus noch nicht am Ende der Geschichte sind, können wir es neu gestalten:
1) Der dritte Lebensabschnitt ist nicht mehr ausschließlich Ruhestand, dessen volkswirtschaftliche Funktion nur im Konsum besteht.
Er wird „Zeit der Freiheit“:
Wir können uns unseren Hobbies, ehrenamtlicher Tätigkeit oder Verwandten widmen, aber uns auch nach unseren Neigungen und Fähigkeiten mit Erwerbstätigkeit am Wirtschaftsleben beteiligen.
Solche Erwerbstätigkeit im Alter wird oft nicht die Fortsetzung bisheriger Tätigkeit sein sondern etwas völlig Neues. Diese Möglichkeiten gilt es zu entdecken und zu nutzen. Dazu gilt:
2) Nach dem Prinzip des lebenslangen Lernens ist die Vorbereitung auf altersgeeignete Berufe in das gesamte Bildungssystem einzubeziehen.
Weil aber nicht jeder im Alter erwerbstätig sein kann oder möchte, muss der gesetzliche Rentenanspruch auch unter widrigen Umständen mindestens das Sozialhilfeniveau erreichen. Nur dann kann jeder darauf vertrauen, die Zeit der Freiheit ohne Zwang nutzen zu können.
Schutz vor Altersarmut war auch Ziel der 2021 eingeführten „Grundrente“. Deren Grundkonzeption war allerdings nicht sinnerfüllte Gestaltung des dritten Lebensabschnittes sondern Finanzierung des Konsums nach Abschluss der Erwerbstätigkeit und gerechte finanzielle Würdigung der damit abgeschlossenen „Lebensleistung“. Notwendig ist dazu die Sichtung und Einordnung von jeweils bis zu 560 monatlichen Rentenbeiträgen für alle Bestandsrenten unter 1.400 Euro monatlich. Betrug der Wert dieser Beiträge mindestens 0,025 und maximal 0,0667 Entgeltpunkte (0,3 bzw. 0,8 pro Jahr), ergibt sich daraus ein Anspruch auf einen Grundrentenzuschlag, falls anhand der Einkommensüberprüfung „Grundrentenbedarf“ festgestellt wird. Nach Schätzung des Sozialministeriums sollen damit ca. 1,3 Millionen Rentner davon profitieren und so vor den finanziellen Folgen des demografischen Wandels geschützt werden. Die Grundrente steht jedoch vor gravierenden Problemen:
– Wegen des immensen Verwaltungsaufwandes hat nach über einem Jahr noch immer kein Rentner einen Bescheid über den ihm zustehenden Zuschlag erhalten.
– Dank der Unübersichtlichkeit des komplizierten Berechnungsverfahrens können junge Beitragszahler kaum übersehen, ob sie mit einem Grundrentenzuschlag rechnen können.
– Das Gesetz wird möglicherweise keinen Bestand haben. So stellte Professor Franz Ruland, einstiger Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger, in seinem Gutachten „Die Verfassungswidrigkeit der Grundrente“ gravierende Verstöße gegen das Äquivalenzprinzip fest. Wegen der Komplexität der Regeln ist das allerdings nicht leicht zu erkennen:

Die Grafik zeigt zunächst den streng vom rentenwirksamen Einkommen, Entgeltpunkten und damit von den Beitragszahlungen abhängigen Rentenanspruch nach Rente 67 (blau). Dazu addieren sich die Grundrentenzuschläge. Sie sind hier aus Modellrechnungen für 45, 40 bzw. 35 Beitragsjahre mit je 4 verschiedenen Verteilungsmustern zusammengestellt (grau). Folgen die Beitragszahler in ihrer Erwerbsbiographie dem gleichen Verteilungsmuster, führt jede Leistungssteigerung, wenn auch in unterschiedlichem Maß und mit Sprüngen zu einer Erhöhung der Rentenansprüche. Tatsächlich sind aber die Erwerbsbiografien aller 20 Millionen Rentner verschieden. Das Ergebnis:
Wer in 45 Beitragsjahren 19 Entgeltpunkte bei nur mäßiger Einkommensentwicklung erwirtschaftet hat, erhält einen Grundrentenzuschlag und damit netto 940 Euro Rente monatlich und liegt damit grade über Sozialhilfeniveau. Wer hingegen 21 Entgeltpunkte mit stärkeren Einkommensunterschieden erwirtschaftete, hat keinen Anspruch auf den Zuschlag, weil von den 45 Beitragsjahren weniger als 30 als Grundrentenbewertungsjahre angerechnet werden. Es bleibt bei ca. 740 Euro monatlicher Nettorente und Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge.
Der Rentner erhält trotz 5 % höherer Leistung 21 % weniger Rente.
Zweites Beispiel: Bei 40 Beitragsjahren und relativ konstantem Einkommen und stärkeren Ausschlägen nur nach unten erhält man mit 25 Entgeltpunkten Grundrente und damit 1.080 Euro netto monatlich. Gab es jedoch bei 27 Entgeltpunkten starke Schwankungen nach oben und unten, bleibt bei minimalem Grundrentenzuschlag 1.010 Euro Nettorente. Beide kommen über das Sozialhilfeniveau.
Aus 8 % höherer Leistung aber folgen 7 % weniger Rente.
Generell gilt:
Risikoärmere Erwerbsbiografien werden belohnt, risikoreichere gehen leer aus.
Solche Diskrepanzen sollten ausgeräumt werden, bevor uns das Bundesverfassungsgericht womöglich dazu zwingt.
Dabei sollten wir nicht versuchen, rückwärtsgewandt Ungerechtigkeiten des vorangegangenen Arbeitslebens im Alter durch Geldzahlungen auszugleichen. Voraussetzung zur freien Gestaltung des dritten Lebensabschnittes ist das sichere Vertrauen, dass jeder auch unter persönlichen oder ökonomisch schwierigen Rahmenbedingungen die Schwelle der Hilfebedürftigkeit überschreiten kann.
– Nur dann lohnt sich jeder Beitrag zur gesetzlichen Rente.
– Nur dann trägt jede private Altersfürsorge zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Alter bei.
– Nur dann lohnt auch jedes zusätzliche Alterseinkommen.
Das soll unsere Sockelrente leisten. Anders als die Grundrente ist die Sockelrente kein Zuschlag zum allgemeinen Rentenanspruch. Wo erforderlich, tritt sie an die Stelle der Rente 67. Hier ein Beispiel:

3) Die Sockelrente beträgt 400 Euro monatlich zuzüglich 34 Prozent des durchschnittlichen rentenwirksamen Einkommens: SR = 400 + 0,34 drE.
Sofern sich dabei höhere Werte ergeben, gelten die Ansprüche der Rente 67.
Nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ergibt sich als grüne Linie der Anspruch aus der Sockelrente netto vor Steuern mit 356 Euro zuzüglich 30,3 % des durchschnittlichen rentenwirksamen Bruttoeinkommens. Der Anspruch nach Rente 67 (kräftige blaue Linie) wird so für Geringverdiener durch einen langsam abschmelzenden Betrag erhöht (grün). Beim Rentenniveau von 48 % liegt der Anspruch nach Rente 67 ab 2860 Euro jedoch darüber. Der Anspruch bei Rentnern mit geringeren Einkommen wird also durch die Sockelrente (grüne Linie) bestimmt, der Anspruch der Besserverdienende durch Rente 67. Mit sinkendem Rentenniveau verschiebt sich diese Grenze, in 2026 gilt bei 46 % die Sockelrente bis 3.500 Euro rentenwirksamen Einkommens.
Anspruch auf zusätzliche Mittel der Solidargemeinschaft sollte allerdings nicht erhalten, wer nichts zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen hat. Den dazu nötigen Anreiz soll eine Einstiegszone schaffen, in diesem Beispiel:
4) Die Rente der Einstiegszone beträgt 100 Prozent des durchschnittlichen rentenwirksamen Einkommens ER = drE.
Sie ist jedoch auf die Höhe der Sockelrente begrenzt.
Nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich das verfügbare Nettoeinkommen (kräftig grün gestrichelt). Das Sockeleinkommen mit Einstiegszone schafft einen verlässlichen Handlungsrahmen:
– Der Beitritt zur gesetzlichen Rentenversicherung bringt rasch deutlichen Gewinn.
– Das Sozialhilfeniveau wird früher erreicht (hier mit 25,5 statt 29,5 Entgeltpunkten).
– Das Altersarmutsrisiko sinkt damit (violetter Pfeil).
– Jede private Vorsorge senkt das Risiko weiter.
– Jedes zusätzliche Alterseinkommen bringt wirtschaftlichen Gewinn.
– Die Sockelrente ist unabhängig vom sinkenden Rentenniveau (dünn gestrichelt).
Wichtig ist, dies auch jedem bewusst zu machen und damit die bisher noch nicht gesetzlich Versicherten einzubinden und zu motivieren:
5) Ein obligatorisches Vorsorgekonto schafft Übersicht, welches Altersbasiseinkommen aus gesetzlichem Rentenanspruch sowie aus betrieblicher und privater Altersvorsorge bzw. Pensionen voraussichtlich zu erwarten ist.
Den Beginn der Zeit der Freiheit bestimmt jeder nach eigenem Ermessen. Ausgangsgrundlage bleiben die gestaffelten Werte der 2005 beschlossenen Rente 67:
6) Abschläge und Zuschläge für früheren oder späteren Rentenantritt sind so zu gestalten, dass längeres Arbeiten sich lohnt und früherer Rentenantritt nicht zu Lasten der Gesellschaft geht.
Die gesetzliche Rentenversicherung gilt zwar für das Gros der abhängig Erwerbstätigen, aber nicht für alle. Darum:
7) Vergleichbare Regeln sind auch für Beamte und Selbständige zu schaffen.
Daraus ergibt sich für die Zeit der Freiheit als Summe einander ergänzender Beiträge der Aufbau des Alterseinkommens: Vor Eintritt in das Rentenalter wird mit Unterstützung der Sockelrente der aus Umlage und Aktien gespeiste gesetzliche Rentenanspruch (hellblau). Mögliche Pensionsansprüche sind einbezogen. Er liegt in aller Regel über Sozialhilfeniveau und schafft damit bereits Unabhängigkeit von staatlichen Fürsorgeleistungen. Dazu kommen aus privater Vorsorge:
– Kapitalgedeckte Privatversicherungen und betriebliche Versicherungen (orange)
– Wohneigentum oder Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung (grün) und
– Kapitalerträge aus Aktien oder Beteiligungen (dunkelblau).
Diese Elemente addieren sich zu einem Einkommen als Unterhaltsbasis im Alter.
Nun bleibt, wie ursprünglich geplant, die Grundsicherung im Alter der Notanker für Ausnahmefälle.
Wir machen Bedürftigkeit nicht erträglicher.
Wir vermeiden sie, wo immer möglich, und schaffen Unabhängigkeit.
Jeder kann darauf zählen, dass zusätzliche Leistungen im Alter auch geachtet werden und zu spürbarem Mehreinkommen führen (gelb).

„Zeit der Freiheit“ nutzt das Geschenk unseres längeren Lebens als Chance.
Wir mobilisieren die in uns auch im Alter noch schlummernden Kräfte.
Das geschieht in Freiheit ohne jeden Zwang. Mit der Sockelrente können Menschen sich auf den Erfolg ihrer Anstrengungen verlassen. Wir stellen den von Sozialdemokraten beabsichtigten Schutz vor Altersarmut auf eine verständliche und praktikable Basis und verhindern ein mögliches Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht.
Freie Demokraten versuchen nicht Ungerechtigkeiten eines überholten Lebenszeitkonzeptes durch Geldzahlungen an die Alten zu Lasten der Jungen auszugleichen. Wir gestalten das Konzept neu.
Wir lösen damit das Versprechen des Koalitionsvertrages zu nachhaltiger Politik für den Bereich der Alterssicherung ein.
Wir schaffen den zum energetischen Umbau unserer Wirtschaft dringend benötigten Spielraum.
Quellenhinweise
1 Ergebnis des wissenschaftlichen Beirates des Wirtschaftsministeriums. 2 Axel Börsch-Sopan, Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik
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